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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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abzuschneiden und sie bis auf den letzten Mann zu vernichten.
    Neben den falschen Nachrichten gelangen auch einige wahre – deren Richtigkeit sich später bestätigte – bis zu uns. So von einer auf der Straße von Grand Luce dicht an Le Mans ausgebrochenen Panik, wobei Greueltaten sich zutrugen: außer Rand und Band gekommene Soldaten warfen Verwundete aus den bereitstehenden Eisenbahnwaggons, um an deren Stelle Platz zu nehmen.
    Von Tag zu Tag wird es schwerer, Lebensmittel zu beschaffen. Die Fleischvorräte sind erschöpft; es gibt schon längst keine Rinder und Schafe mehr in den angelegten Viehparks; bald sind auch alle Pferde verzehrt, und es beginnt die Periode, wo die Hunde und Katzen, die Ratten und Mäuse, schließlich auch die Tiere des jardin des plantes , selbst der so beliebte, arme Elefant als Speise dienen müssen. Brot ist beinah nicht mehr zu erlangen. Stunden- und stundenlang müssen die Leute vor den Bäckerläden in der Reihe harren, um ihre kleine Ration zu bekommen, doch die meisten gehen leer aus. Erschöpfung und Krankheiten machen reiche Todesernte. Während gewöhnlich in der Woche 1100 Menschen starben, weisen die Pariser Sterbelisten jetzt wöchentlich 4–5000 auf. Täglich also ungefähr 400 unnatürliche Todesfälle – das heißt also Morde . Wenn auch der Mörder kein einzelner war, sondern ein unpersönliches Ding, nämlich der Krieg , so sind es darum nicht minder Morde. Wen traf die Verantwortung? Etwa jene parlamentarischen Großsprecher, welche in ihren Hetzreden mit stolzem Pathos erklärten – wie dies Girardin in der Sitzung vom 15. Juli getan – daß sie »die Verantwortung eines Krieges vor der Geschichte auf sich nähmen«? Können denn eines Menschen Schultern stark genug sein, solche Verbrechenslast zu tragen? Gewiß nicht. Es fällt auch niemandem ein, die Prahler nachträglich beim Wort zu nehmen.
    Eines Tages, es war um den 20. Januar herum, kam Friedrich, von einem Gang durch die Stadt heimgekehrt, mit erregter Miene in mein Zimmer.
    »Nimm dein Eintragebuch zur Hand, meine eifrige Geschichtsschreiberin!« rief er mir zu. »Heute gibt es einen wichtigen Posten.« Und er warf sich in einen Sessel.
    »Welches meiner Bücher?« fragte ich. »Das Friedensprotokoll?«
    Friedrich schüttelte den Kopf:
    »O, mit dem ist's Wohl für lange Zeit vorbei. Der Krieg, der jetzt gefochten wird, ist zu gewaltiger Natur, um nicht kriegerisch fortzuwirken. Auf der Seite der Besiegten hat er einen solchen Vorrat von Haß- und Rachesaaten ausgestreut, daß daraus eine künftige Kampfernte hervorwachsen muß und andererseits hat er für den Sieger solche großartige umwälzende Erfolge zustande gebracht, daß dort eine gleich große Saat von kriegerischem Stolze aufgehen wird.«
    »Was ist denn so Bedeutendes geschehen?«
    »König Wilhelm wurde in Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen. Es gibt jetzt ein Deutschland – ein einiges Reich – und ein mächtiges Reich. Das gibt einen neuen Abschnitt in der sogenannten Weltgeschichte. Und du kannst dir denken, wie in dem neuen, aus Massenarbeit hervorgegangenen Reiche diese Arbeit hoch in Ehren gehalten sein wird. Die beiden vorgeschrittensten Kulturländer des Festlandes sind es also hinfort, welche den Kriegsgeist pflegen werden – das eine, um den erhaltenen Schlag zurückzugeben: das andere, um die errungene Machtstellung zu bewahren; hier aus Haß, dort aus Liebe; hier aus Vergeltungssucht, dort aus Dankbarkeit – gleichviel: klappe dein Friedensprotokoll nur zu – auf lange Zeit hinaus stehen wir unter dem blutigen und eisernen Zeichen des Mars!«
    »Deutscher Kaiser!« rief ich – »das ist wahrlich großartig.« Und ich ließ mir die Einzelheiten dieses Ereignisses erzählen.
    »Ich kann doch nicht umhin, Friedrich,« sagte ich, »mich über diese Nachricht zu freuen. So ist die ganze Schlachtarbeit doch nicht verloren gewesen, wenn daraus ein neues großes Reich hervorgegangen.«
    »Vom französischen Standpunkt aber doppelt verloren ... Und wir beide hätten wohl das Recht, diesen Krieg nicht einseitig – von der deutschen Seite – zu betrachten. Nicht nur als Menschen, sogar nach engerem, nationalem Begriffe hätten wir das Recht, die Erfolge unserer Feinde und Unterwerfer von 1866 zu beklagen. Und dennoch, ich gebe dir zu, daß die erreichte Vereinigung des zerstückelten Deutschlands eine schöne Sache ist; daß diese Bereitwilligkeit der übrigen deutschen Fürsten, dem greisen Sieger die Kaiserkrone zu reichen,

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