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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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war, mich hütend und wahrend als seines Herzens teuerster Schatz. Der Krieg, der draußen vor den Toren wütete, von dem wußte ich beinahe nichts mehr; und wenn mir doch zuweilen eine Erinnerung davon aufblitzte, so betrachtete ich das Ding als etwas so fern liegendes, so mich durchaus nicht berührendes, als spielte es sich in China oder auf einem anderen Planeten ab. Meine Welt war hier in diesem Krankenzimmer – in diesem Rekonvaleszentenzimmer vielmehr, denn ich fühlte mich genesen – dem Glück entgegen.
    Dem Glücke? Nein. Mit der Genesung kam auch das Verständnis wieder und die Auffassung des Gräßlichen, das uns umgab. Wir waren in einer belagerten, hungernden, frierenden, jammererfüllten Stadt. Der Krieg wütete noch fort.
    Inzwischen war der Winter hereingebrochen, eisigkalt. Jetzt erfuhr ich erst, was während meiner langen Bewußtlosigkeit alles vorgefallen. Die Hauptstadt des »Bruderlandes«, Straßburg, die »wunderschöne«, die »echt deutsche«, die »kerndeutsche Stadt« ist beschossen worden; ihre Bibliothek zerstört; im ganzen fielen 193 722 Schüsse – vier oder fünf in der Minute.
    Straßburg ist genommen .
    – Das Land gerät in wilde Verzweiflung – jene Verzweiflung, welche in Raserei und Wahnsinn ausartet. Man schlägt im Nostradamus nach, um darin Prophezeiungen der jetzigen Ereignisse zu finden, und neue Seher lassen sich mit Weissagungen vernehmen. Ärger noch: Besessene treten auf: es ist wie ein Rückfall in mittelalterliche, höllenfeuer-durchzuckte Geistesnacht ...
    »Könnte ich zu den Beduinen!« rief Gustav Flaubert. »Könnte ich in das halbbewußte Traumland meiner Krankheit zurück!« so klagte ich. Jetzt war ich wieder gesund und mußte all das erfahren und erfassen, was Grauenvolles um uns vorging. Da begannen wieder die Eintragungen in die roten Hefte und ich finde folgende Notizen vor:
    1. Dezember . Trochu setzt sich auf den Höhen von Champigny fest. 2. Dezember . Hartnäckiges Gefecht um Brie und Champigny. 5. Dezember Die Kälte wird immer strenger. Ach, die zitternden, blutenden, armen Wichte, die draußen im Schnee gebettet – sterben . Auch hier in der Stadt wird furchtbar an Kälte gelitten. Der Verdienst ist auf Null gesunken. Kein Feuerungsmaterial zu beschaffen. Was gäbe mancher drum, wenn er nur ein paar Stückchen Holz da hätte – und wäre es der gewisse Thron von Spanien ...
    21. Dezember . Ausfall aus Paris.
    25. Dezember . Eine kleine Abteilung preußischer Kavallerie wird aus den Häusern der Ortschaften Trov und Sougé mit Flintenschüssen begrüßt (das ist Patriotenpflicht). General Kraatz befiehlt die Züchtigung dieser Ortschaften (das ist Kommandantenpflicht) und läßt brennen. »Anzünden« lautet das Kommandowort, und die Leute – vermutlich sanfte, gutmütige Burschen – gehorchen (das ist Soldatenpflicht) und legen den Brand an. Die Flammen schlagen zum Himmel und die armen Heimstätten stürzen krachend ein über Mann und Weib und Kind – über fliehende, weinende, brüllende und brennende Menschen und Tiere.
    O du fröhliche, o du selige, o du heilige Weihnachtszeit!
    * * *
    Soll Paris nur ausgehungert werden, oder auch beschossen?
    Gegen letztere Annahme sträubt sich das Kulturgewissen. Diese »ville-lumière« , dieser Anziehungspunkt aller Völker, diese glänzende Stätte der Künste – mit ihren unersetzlichen Reichtümern und Schätzen bombardieren wie die erste beste Zitadelle? Nicht denkbar; die ganze neutrale Presse (so erfuhr ich später) protestiert dagegen. Die Presse der Kriegspartei in Berlin hingegen ermuntert dazu: das sei das einzige Mittel, den Krieg zu Ende zu führen und die Seinestadt erobern – welcher Ruhm! Die Proteste übrigens sind es gerade, welche gewisse Kreise in Versailles bestimmen, diese strategische Maßregel – weiter ist ja eine Beschießung doch nichts – zu ergreifen. Und so geschah es, daß ich unterm 28. Dezember mit zitternden Zügen niederschrieb:
    »Es ist da ... Wieder ein dumpfer Schlag ... Eine Pause – und wieder –«
    Weiter schrieb ich nicht. Aber ich erinnere mich genau der Empfindungen jenes Tages. In dem »Es ist da« lag neben dem Schrecken eine gewisse Befreiung, eine Erleichterung, ein Nachlassen der beinah schon unerträglich gewordenen Nervenanspannung. Was man so lange teils erwartet und befürchtet, teils für menschenunmöglich gehalten – es war nun da.
    Wir saßen beim Gabelfrühstück (das heißt, wir aßen Brot und Käse – die Lebensmittel waren

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