Die Waffen nieder!
»als Bollwerk bei voraussichtlichen, zukünftigen Krisen unentbehrlich.« Und bekanntlich sind ja die strategischen Gründe die hochwichtigsten, unumstößlichsten – daneben darf sich ein ethischer Grund erst in zweiter Linie geltend machen. – Andererseits: die Kriegspartie war von Frankreich verloren worden; war es nicht billig, daß dem Gewinner ein Preis zufiel? Hätten im Falle ihres Erfolges die Franzosen nicht die Rheinprovinzen sich aneignen wollen? Wenn der Ausgang eines Krieges nicht für den einen oder den anderen Teil Gebietserweiterung zur Folge haben soll, wozu wird dann überhaupt Krieg geführt?
Unterdessen läßt das siegreiche Heer im Vormarsche sich nicht abhalten: die Deutschen sind schon vor den Toren von Paris. Die Abtretung Elsaß-Lothringens wird offiziell verlangt. Dagegen erhebt sich der bekannte Ausspruch: »Keinen Zoll unseres Territoriums – keinen Stein unserer Festungen« – ( pas un pouce – pas une pierre ).
Ja, ja – tausend Leben – nur keinen Zoll Erde. Das ist der Grundgedanke des patriotischen Geistes. »Man will uns demütigen,« riefen die französischen Patrioten, »eher wird sich das erbitterte Paris unter seinen Trümmern begraben.«
Fort, fort! entscheiden wir jetzt. Wozu ohne Notwendigkeit in einer belagerten fremden Stadt verbleiben, wozu unter Leuten leben, die von keinen anderen als Haß- und Rachegedanken erfüllt sind, die uns mit scheelen Blicken und oft mit geballten Fäusten betrachten, wenn sie uns deutsch reden hören? Freilich ohne Schwierigkeiten konnten wir jetzt nicht mehr aus Paris, aus Frankreich hinaus; man hatte überall Gefechtsgebiete zu passieren, der Eisenbahnverkehr war für Privatreisende häufig verschlossen, unseren Neubau im Stiche lassen, war auch nicht angenehm, aber gleichviel: unseres Bleibens war nicht mehr. – Eigentlich waren wir schon viel zu lange dageblieben, die Erregungen, die ich in letzter Zeit durchgemacht, hatten mich so stark erschüttert, daß meine Nerven darunter litten. Ich wurde häufig von Schüttelfrost und ein paarmal auch von Weinkrämpfen befallen.
Schon waren unsere Koffer verpackt und alles zur Abfahrt bereit, als ich wieder einen Anfall bekam, diesmal so heftig, daß ich ins Bett gebracht werden mußte.
Der herbeigeholte Arzt erklärte, daß ein Nervenfieber oder gar eine Gehirnentzündung im Anzug sei und man vorläufig nicht daran denken dürfe, mich den Strapazen einer Reise auszusetzen. –
Ich lag lange, lange Wochen danieder. Nur eine sehr traumhafte Erinnerung ist mir von dieser ganzen Zeit geblieben. Und sonderbar: eine süße Erinnerung. Ich war doch schwer krank und Trauriges und Schauriges trug in dem Orte meines Aufenthaltes – eine belagerte Stadt – unaufhörlich sich zu, und dennoch, wenn ich daran zurückdenke: es war eigentümlich freudenvolle Zeit. Freuden, ja, so recht intensive Freuden, wie Kinder sie zu empfinden pflegen. Die Gehirnkrankheit, die ich durchgemacht, die fast immerwährende Abwesenheit oder doch nur halbe Anwesenheit des Bewußtseins machte, daß alles Denken und Urteilen, alles Erwägen und Überlegen aus meinem Kopf geschwunden war und nur ein vager Daseinsgenuß zurückblieb, wie solcher – wie gesagt – von Kindern, namentlich von zärtlich gewarteten Kindern, empfunden wird ... An zärtlicher Wartung fehlte es mir nicht. Der Gatte, besorgt und liebend, unermüdlich, war Tag und Nacht um mich. Auch die Kinder brachte er häufig an mein Lager. Was mein Rudolf mir alles vorerzählte! Ich verstand es meist nicht, aber seine liebe Stimme erklang mir wie Musik; und das Zwitschern unserer kleinen Sylvia, unserer Herzenspuppe, wie süß belustigte mich erst das. Da gab es hundert kleine Scherze und Einverständnisse zwischen Friedrich und mir über das Gebaren unserer Tochter ... Worin diese Scherze bestanden, das weiß ich auch nicht mehr; aber ich weiß, daß ich lachte und mich freute – ganz unbändig. Jeder der gewohnten Späße schien mir der Gipfel der Witzigkeit und je öfter wiederholt, desto witziger und köstlicher. Und mit welcher Wonne ich die gereichten Tränkchen schlürfte: da bekam ich täglich zur bestimmten Stunde eine Limonade – so etwas göttertrunkähnliches habe ich während meines ganzen gesunden Lebens nicht gekostet – und allabendlich eine opiumhaltige Arznei, deren sanfteinschläfernde, in bewußten Schlummer wiegende Wirkung mich mit einem Gefühle seliger Ruhe durchrieselte. Dabei wußte ich, daß der geliebte Mann an meiner Seite
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