Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
Vom Netzwerk:
folgende Jahre sich das Vergnügen des Schaffens und Einrichtens vorzubehalten.
    Übrigens war er außer den geselligen Stunden keineswegs lästig; denn er beschäftigte sich die größte Zeit des Tags, die malerischen Aussichten des Parks in einer tragbaren dunklen Kammer aufzufangen und zu zeichnen, um dadurch sich und andern von seinen Reisen eine schöne Frucht zu gewinnen.
    Er hatte dieses schon seit mehreren Jahren in allen bedeutenden Gegenden getan und sich dadurch die angenehmste und interessanteste Sammlung verschafft.
    Ein großes Portefeuille, das er mit sich führte, zeigte er den Damen vor und unterhielt sie teils durch das Bild, teils durch die Auslegung.
    Sie freuten sich, hier in ihrer Einsamkeit die Welt so bequem zu durchreisen, Ufer und Häfen, Berge, Seen und Flüsse, Städte, Kastelle und manches andre Lokal, das in der Geschichte einen Namen hat, vor sich vorbeiziehen zu sehen.
    Jede von beiden Frauen hatte ein besonderes Interesse, Charlotte das allgemeinere, gerade an dem, wo sich etwas historisch Merkwürdiges fand, während Ottilie sich vorzüglich bei den Gegenden aufhielt, wovon Eduard viel zu erzählen pflegte, wo er gern verweilt, wohin er öfters zurückgekehrt; denn jeder Mensch hat in der Nähe und in der Ferne gewisse örtliche Einzelheiten, die ihn anziehen, die ihm seinem Charakter nach, um des ersten Eindrucks, gewisser Umstände, der Gewohnheit willen besonders lieb und aufregend sind.
    Sie fragte daher den Lord, wo es ihm denn am besten gefalle und wo er nun seine Wohnung aufschlagen würde, wenn er zu wählen hätte.
    Da wußte er denn mehr als eine schöne Gegend vorzuzeigen und, was ihm dort widerfahren, um sie ihm lieb und wert zu machen, in seinem eigens akzentuierten Französisch gar behaglich mitzuteilen.
    Auf die Frage hingegen, wo er sich denn jetzt gewöhnlich aufhalte, wohin er am liebsten zurückkehre, ließ er sich ganz unbewunden, doch den Frauen unerwartet, also vernehmen: »ich habe mir nun angewöhnt, überall zu Hause zu sein, und finde zuletzt nichts bequemer, als daß andre für mich bauen, pflanzen und sich häuslich bemühen.
    Nach meinen eigenen Besitzungen sehne ich mich nicht zurück, teils aus politischen Ursachen, vorzüglich aber, weil mein Sohn, für den ich alles eigentlich getan und eingerichtet, dem ich es zu übergeben, mit dem ich es noch zu genießen hoffte, an allem keinen Teil nimmt, sondern nach Indien gegangen ist, um sein Leben dort, wie mancher andere, höher zu nutzen oder gar zu vergeuden.
    Gewiß, wir machen viel zu viel vorarbeitenden Aufwand aufs Leben.
    Anstatt daß wir gleich anfingen, uns in einem mäßigen Zustand behaglich zu finden, so gehen wir immer mehr ins Breite, um es uns immer unbequemer zu machen.
    Wer genießt jetzt meine Gebäude, meinen Park, meine Gärten?
    Nicht ich, nicht einmal die Meinigen: fremde Gäste, Neugierige, unruhige Reisende.
    Selbst bei vielen Mitteln sind wir immer nur halb und halb zu Hause, besonders auf dem Lande, wo uns manches Gewohnte der Stadt fehlt.
    Das Buch, das wir am eifrigsten wünschten, ist nicht zur Hand, und gerade, was wir am meisten bedürften, ist vergessen.
    Wir richten uns immer häuslich ein, um wieder auszuziehen, und wenn wir es nicht mit Willen und Willkür tun, so wirken Verhältnisse, Leidenschaften, Zufälle, Notwendigkeit und was nicht alles«.
    Der Lord ahnete nicht, wie tief durch seine Betrachtungen die Freundinnen getroffen wurden.
    Und wie oft kommt nicht jeder in diese Gefahr, der eine allgemeine Betrachtung selbst in einer Gesellschaft, deren Verhältnisse ihm sonst bekannt sind, ausspricht!
    Charlotten war eine solche zufällige Verletzung auch durch Wohlwollende und Gutmeinende nichts Neues; und die Welt lag ohnehin so deutlich vor ihren Augen, daß sie keinen besondern Schmerz empfand, wenngleich jemand sie unbedachtsam und unvorsichtig nötigte, ihren Blick da- oder dorthin auf eine unerfreuliche Stelle zu richten.
    Ottilie hingegen, die in halbbewußter Jugend mehr ahnete als sah und ihren Blick wegwenden durfte, ja mußte von dem, was sie nicht sehen mochte und sollte, Ottilie ward durch diese traulichen Reden in den schrecklichsten Zustand versetzt; denn es zerriß mit Gewalt vor ihr der anmutige Schleier, und es schien ihr, als wenn alles, was bisher für Haus und Hof, für Garten, Park und die ganze Umgebung geschehen war, ganz eigentlich umsonst sei, weil der, dem es alles gehörte, es nicht genösse, weil auch der, wie der gegenwärtige Gast, zum

Weitere Kostenlose Bücher