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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Reinheit!«
    »Reinheit.« Brummel-Grummel von der Hellen, der Schweigenden, dem Finsteren, dem Lachenden. Wie ein Gebet.
    »Reinheit. Reinheit Reinheit Reinheit.« Natürlich. Das Energienetz zittert und knistert, und Aurelian ist da, aus dem Nichts, aus dem Überall. Er ist groß und stattlich wie ein Sohn der Corporadas. Er trägt einen weißen Leinenanzug und einen Panamahut und geflochtene Schuhe. In seinem Knopfloch steckt eine schwarze Nelke, seine Hand ruht lässig auf dem vergoldeten Knauf eines Malakkaspazierstocks. Er hat schöne Hände. Zed hat noch niemals so schöne Hände geschehen wie die Hände von Aurelian. Der Duft nach Gardenien überdeckt selbst den Gestank des Barry-O.
    »Reinheit. Übermütige Jugend!« Er lächelt. Man stelle sich einen Engel vor, der vor langer Zeit durch Gottes Finger gerutscht ist und sich seiner früheren Schönheit erinnert. Man stelle sich vor, wie er lächeln würde. »Dann kommt!«
    Frage: Was verkauft Aurelian, das halb soviel wert ist wie das, was er kauft?
    Dieses.
    Einen siebeneckigen Metallrahmen. So groß wie ein Mann der Company. Reich bestückt mit Kabeln und Leitungen und laienhaft zusammengeschusterten Computermodulen. Die Ahnung einer Tür. Die Ahnung eines Spiegels. In gewissem Sinne beides. Die vollständige oberste Etage von Aurelians kleinem Königreich muß der Unterbringung dieses Dings dienen. Während das Klick, Tapp, Klick, Tapp des Spazierstocks auf dem Beton den Pilgern den Weg weist, erzittern die Kabel vor Energie, und für den kürzest wahrnehmbaren Moment füllt sich das Siebeneck mit einer Fläche blauen Lichts. Lernet das Fürchten, Fremde! Legt ein wenig von eurer Oberstadt-Arroganz ab, von dieser Hy Brazyl-Großspurigkeit, die euch glauben läßt, ihr seiet die Erben der ganzen Erde.
    Zed berührt den glatten Metallrahmen, streicht über die summenden Kabel, gafft in das zuckende blaue Licht, als ob sie ergründen wollte, ob es ein Jenseits davon gäbe und wie dieses Jenseits wohl gestaltet sein mochte.
    »Nichts«, sagte Aurelian. »Das ist der Gag daran, nicht wahr? Nichts und alles. Sag mal, bin ich jetzt fromm? Ich müßte es eigentlich sein.«
    Ungeduldig, seelenhungrig, zieht sich Zed bereits die Kleider aus. Feine Corporada- Seide und Leder liegen wie leere Häute auf dem rostgefärbten Beton. Aurelian fährt sich mit der kleinen Leguanzunge über die Lippen. Es ist nicht Zed, nach der er lechzt. Es ist das Fläschchen in ihrer Hand.
    »Ich nehme an, da du über den Materieformer Bescheid weißt, bist du sicher auch vertraut mit DaCostas Gesetz der All-Position, auf dessen Grundlage er funktioniert und nach dem, in einer bestimmten mathematischen Ebene, die Wahrscheinlichkeit der Existenz eines Gegenstands an jedem beliebigen Punkt im Universum die gleiche …«

    »Aurelian …« Zed streift sich die Ringe von den Fingern, die afrikanischen Reifen aus Messing und Bein von den Gelenken. Sie schüttelt ihr Haar, um es aus der Lederspange zu befreien. »Keine Theorien, alter Mann. Keine Gesetze. Tu es einfach! Tu es jetzt!« Sie drückt ihren weichen Körper gegen den harten Metallrahmen. Blau in dem vergänglichen Ewigkeitslicht. Ein vollkommenes Kind der Company. Aurelian schüttelte den Kopf, in trockener, spöttischer Sorge. Er schnipst zweimal mit den Fingern, öffnet die schöne Hand. Das Gläschen mit den glitzernden Dingen fliegt im Bogen durch die Luft. Schwarzmarkt-Unsterblichkeit. Aurelians Hand schnappt es mit pfeilschnellem Klammergriff, und schon ist es sicher in der Brusttasche seiner Leinenweste verstaut. Seine Hände, seine schönen, schönen Hände fahren über die häßlichen, zusammengeschusterten Computermodule.
    Und das Betonskelett des seit langem toten Parkhauses summt bei einem sich immer weiter steigernden Anschwellen der Energie. Das Summen wird zu einem migränehaften Dröhnen; einen Augenblick lang beben und knirschen die Böden, die Decken und die Säulen, als das Energienetz ihre schwingenden Frequenzen auffängt und wieder abgibt. Das Metallsiebeneck ist eine massive Fläche aus blauem Licht.
    »Hesus«, flüstert jemand.
    Das Mädchen, das sich Zed nennt, wirft das schwarze Haar zurück und schreitet in das Feld des Teleporters.
    Sie kann nicht einmal schreien.
    Sie stirbt, ausgelöscht, zerfetzt, zersetzt, verstreut bis in den hintersten Winkel dieses isotropischen Universums, über die Zeit verbreitet von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sie ist nichts. Sie ist alles, eins geworden mit dem Universum im

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