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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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vorstellen, daß sie die ersten sind. Aurelians Körper wehrt jetzt seit einem halben Jahrhundert das Sterben ab; in den letzten fünfzig Jahren gab es viele kleine Plastikfläschchen mit dem synthetischen Todeshormon-Stopper. Die Nachwuchsführungskräfte der Company brennen vor Nachwuchsführungskräfte-Ehrgeiz und -Eifer, Suchende auf der Spur des Spirituellen, die des Sternenscheins und Neonlichts müde sind und eine hellere Erleuchtung suchen, hier unten, wo die Straßen keine Namen haben; unausgeglichene Seelen, die etwas beweisen müssen (sie hätten niemals genau zu sagen vermocht, was), sich selbst, anderen, der Welt; die hohlen Menschen, die in der Leere eine Erfüllung suchen, im Nichtsein eine allumfassende Erfahrung. Künstler. Draufgänger. Narren. Sensationsgeier. Nichts, aber im Trend. Sie alle haben dann und wann in diesen anderthalb Jahrhunderten Aurelian bezahlt, um durch den Teleporter zu schreiten. Und nicht immer nur mit synthetischem THS. Es gab andere Währungen, andere Gattungen, andere Drogen: Aurelian wurde nicht hundertundfünfzig Jahre alt, und das im Barry-O, ohne teure Verbündete.
    Es waren nie viele. Aurelian macht keine Werbung. Von-Mund-zu-Mund-Reklame ist die beste Reklame. Etwas, an das sich die Yuppie-Werbemanager erinnern würden. Aber genug. Er verdient genug daran. Genug, um ihm am Leben zu erhalten und ungefähr bis in alle Ewigkeit weiterticken zu lassen. Die Ewigkeit dürfte wahrscheinlich gerade lange genug sein, damit er die Schulden, die er für seinen Materietransmitter gemacht hat, abbezahlen kann. Das war keine Investition, die die Manager des Oberstadt-Projekts verstanden hätten; Schmerz und Verlust und Enttäuschung erscheinen nicht in irgendeiner Soll-Haben-Aufstellung.
    Er ist Ingenieur gewesen in jenen frühen, wilden Tagen, als der Traum von gemeinsamer Größe die Industriezentren veranlaßt hat, nach den Wolken zu greifen, den Wolken über dem, was einmal Sao Paulo war. Sie ist Mathematikerin gewesen, eine DaCosta, Sproß einer der Gründungsfamilien, deren Glas- und Stahltürme in die Stratosphäre wuchsen, so anmutig und elegant wie ihresgleichen. Sie waren Freunde, Seelenfreunde, eine Beziehung, die tiefer und bindender war, als es irgendeine äußere Form nur jemals ausdrücken konnte. Und aus diesem Geist, der zwischen ihnen herrschte, war die Idee entsprungen. Eine überragende, gewaltige, unglaubliche, unmögliche, wundervolle Idee. Die Transmission von Materie. Augenblicklich. Über unbegrenzte Entfernungen. Teleportation. Sie erarbeiteten Pläne und zeichneten Skizzen und erstellten Pilotprojekte. Und es funktionierte herrlich. Die Aufhebung der Entfernung. Das würde die Geschäftswelt revolutionieren. Sie legten es den Managern des Oberstadt-Projektes vor. Und die Direktoren der Company schnitten dem Plan den Kopf ab. Die Füße. Die Hände. Denn die Seelenfreunde hatten nicht erkannt, welchen Einfluß die Aufhebung der Entfernung auf die Gesetze von Angebot und Nachfrage in den Mächten der freien Marktwirtschaft hätte. Nahtransport und Fernverkehr, Gebiete für Herstellung und Verkauf, das ganze Konzept von Markt und Produktion, letztendlich die Corporadas und die Company an sich – alles war bedroht. Kein Mensch investiert in die Rasierklinge, die ihm selbst eines Tages den Hals durchschneiden würde.
    Träume und Seelenfreundschaft verwehen und vergehen nicht so schnell. Die Corporadas ließen sie im Stich, nun gut, sie würden ihrerseits die Corporadas im Stich lassen und ihre revolutionäre, weltbewegende Idee zu jenen tragen, die dankbar dafür waren, zu den Armen und Besitzlosen, die sich in ihren Favelas am Fuße der glänzenden Türme zusammendrängten. Und vielleicht würden die Armen und Besitzlosen diese glänzenden Türme eines Tages zum Einsturz bringen. Jahrzehntelang widmeten sie jede freie Minute der Konstruktion eines alles umfassenden Materietransmitter-Systems. Alles wurde diesem Traum geopfert, mit Ausnahme ihrer Seelenfreundschaft, denn die gab dem Traum Nahrung. Und dann, als der Prototyp fertig war und auf den Probelauf wartete, schnappte DaCosta eine blödsinnige kleine Infektion auf und starb, weil sie sich Antibiotika auf dem Schwarzen Markt nicht leisten konnten. Und ohne den treibenden Geist, der sie verbunden hatte, versank der Traum in Ernüchterung und Zynismus und wurde letztendlich durch eine erbärmliche kleine Mühle gedreht, die Plastikklümpchen der Unsterblichkeit ausspuckte in der müßigen Hoffnung, eines

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