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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Tages, auf irgendeine Weise, diese arroganten Wolkenkratzer zu überleben. Er war immer ein Feigling gewesen, Aurelian mit den schönen Händen.
    Und immer noch kommen sie. Nur sehr wenige kehren für einen zweiten Gang durch das Fenster zurück. Nur die außerordentlich vergeistigten, die außerordentlich gierigen, kommen immer wieder und wieder und wieder. Nur die gierigen Vergeistigten stoßen und stoßen immer wieder an die Grenzen der Erfahrung; zwei, fünf, zehn Sekunden der Auflösung, während Körper und Geist durch den Materietransmitter preschen, bis eine Schlinge des Nichts um jedes Molekül einer jeden Zelle ihrer Körper gewunden ist.
    Geistiger Stolz ist wirklich.
    Geistige Arroganz ist wirklich.
    Geistige Gier, die den Herrn vor seinen Schülern zum immerwährenden Dasein treibt, ist wirklich. Die Faust der geistigen Gier umklammert einen mit ebenso festem Griff wie die Faust, die Aurelian mit seinem kleinen Fläschchen verbindet, jeden Süchtigen mit seiner Droge.
     
    Es war unvermeidlich, daß sie Liebende wurden; Zed, die Tochter aus bestem Haus, von einer der Gründungsfamilien abstammend, und der große, stämmige, finstere Junge irgendwo unten aus den Industriezonen, der sich Würger nannte. Der Materietransmitter hatte sie so weit verstreut, so ausgedünnt, daß es keinen möglichen Berührungspunkt zwischen ihnen und ihren Schülern mehr gab. Mit Ausnahme preisgegebener Enthüllungen. Und empfangener Dankesgaben. Würger hatte seinen Job in einer Pharmazeutik-Einheit aufgegeben, wo er ständig Nachschub an dem Zahlungsmittel Droge für die Herren der Neuen Kirche beschafft hatte: er konnte den Umgang mit den Unreinen nicht mehr ertragen. Ganz abgesehen davon, daß sie ihrerseits den Umgang mit ihm ebenso unerträglich fanden. Unvermeidlich war es also, daß in ihrer Isolation der Finstere sich zur Dunklen hingezogen fühlte.
    So liegen sie nun beisammen, umeinandergeschlungen auf dem Lebensfellboden, und der Morgen bricht über sie herein. Die Hände der Dunklen erforschen den Körper des Finsteren, die straffen Rundungen der Schenkel und Hinterbacken, die sanftgeschwungene Linie seines Rückens, die gewölbten Neigungen der Schultern, Streicheln Streicheln Streicheln, geistesabwesend, gedankenlos, als ob er aus Stein wäre oder aus Plastik oder ein Schoßtierchen. Sie beobachtet, wie der Tag über Hy Brazyl heraufzieht. Und sie weiß nicht, was sie sieht. Die geometrisch abstrakte Ebene des Wolkensockels. Die Türme, die die Stratosphäre zerteilend und durchdringend in die Höhe stoßen. Der Globus, das Lichtatom am Rand der Welt: die Farben Rot, Purpur, Gold.
    Was sind sie? Was ist das? Was bedeutet es?
    Etwas? Alles?
    Nichts?
    Ein Augenblick des Entsetzens, als sie erkennt, daß es – nichts bedeutet. Es ist nicht wichtig. Es hat keine Bedeutung. Es ist nichts. Und dann weicht ihr Entsetzen, als sie erkennt, daß auch dieses nichts ist.
    Und dieser Körper, der sie umfängt, diese Ansammlung von Rundungen und Flächen und Winkeln, Glattheit und Weichheit und Härte; dieser Körper, dieser Würger bedeutet nichts.
    Bedeutet nichts.
    Ist nichts.
    Zed lächelt. Sie ist fast angekommen.
    Und:
    »Was meinst du damit, daß wir uns nicht wiedersehen können?«
    Sie seufzt, streicht sich das Haar gereizt zurück.
    »Ich wußte, du würdest nicht, ich wußte, du würdest nicht begreifen. Es liegt daran, daß das Körperliche keine Bedeutung hat, merkst du das nicht? Letztendlich hat es keine Bedeutung, und ich glaube, ich fühle, daß du es, daß du mich dazu bestimmst, der Grund für alles zu sein, und so kann es nicht sein, du weißt, daß es so nicht sein kann, das Körperliche kann letztendlich nichts bedeuten.«
    »Willst du damit sagen, daß ich dir nichts bedeute?«
    »Nein! Nein! Versuche zu begreifen! Es geht um das Körperliche: du mißt ihm zuviel Bedeutung bei; wir benutzen einander wie Gebrauchsgegenstände, körperliche Gebrauchsgegenstände, und darauf kommt es nicht an.«
    »Du sagst also, daß ich dir nichts bedeute.«
    »Ich sage, daß kein Ding, kein körperliches Ding, mir irgend etwas bedeuten soll. Mir nichts bedeutet. Alles für mich bedeutet. Alles ist nichts, daran glauben wir doch, oder nicht? Nun, jetzt weiß ich es. Ich spüre es. Alles ist nichts. Und das Nichts in uns, die Leere, die geistige Realität, ist alles.«
    Pause.
    Schweigen.
    »Du bist nicht Zed.«
    »Doch. Ich bin Zed.«
    »Nein, das bist du nicht. Vielleicht warst du einmal Zed, damals, du warst das

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