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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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So, das ist alles.« Hände schneiden durch die Luft. »Ich gehe.«
    Fünf Uhr dreißig. Türknallen. Eine halbleere Kaffeetasse auf dem Lebensfellboden. Die Sonne steht hoch über dem Horizont, wieder einmal ein schöner Tag, wie jeder Tag in der vornehmen Höhe der Curporadas.
    Und von vieren sind drei geblieben.
     
    »Länger?«
    »Länger.« Diesmal nur drei von ihnen. Aurelian denkt über einen seiner trockenen, dunklen kleinen Scherze nach, verscheucht die Überlegung. Sie haben keinen Sinn für Humor. Und sie sind keine ängstlichen, aufgeregten, schuldbewußten Kinder. Sie nehmen lässig und selbstsicher auf seinem Beton verteilt ihre jeweilige Stellung ein, jeder genau im Mittelpunkt seines oder ihres Raums, als Herrscher über diesen Raum, als Befehlshaber in diesem Raum, mit der geschmeidigen, pantherhaften Behendigkeit der Company-Geborenen. Dunkellicht, das die Bilder der Schatten verstärkt, haftet auf ihm, dem Brennpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Keine Scherze mit diesen Leuten! Obwohl Herr in seinem Reich; fühlt sich Aurelian undeutlich bedroht. Die dünne schwarze Leguanzunge huscht über seine Lippen.
    »Länger. So. Es gibt, müßt ihr verstehen, gewisse Probleme in dieser Hinsicht. Der Vorgang ist eigentlich als Momentgeschehen gedacht, mit einer Dauer von, sagen wir mal, ein paar Picosekunden. Man müßte die Zeitverschiebungs-Analysegeräte einsetzen, um auf Macrozeit umzuschalten, und, ganz ehrlich, ich kann nicht mit absoluter Sicherheit eine hundertprozentige Reintegration garantieren.«
    »Das heißt?« In all dem Leder und schwarzen Nylon sehen sie gleich aus. Durch diese Gier, den Hunger in ihren Stimmen hören sie sich gleich an. Seine abgerichteten Messerstecher sind nur einen Katzensprung entfernt, und doch erkennt Aurelian, wie allein er ist in seiner Burg des Niewann.
    »Möglicherweise körperliche oder geistige Schäden, sehr wahrscheinlich verhängnisvoll. Vielleicht wird der Körper vollständig reintegriert, doch ohne Leben. Vielleicht kommt es zum Zufalls-Effekt.«
    »Zufalls-Effekt?«
    Die Leguanzunge zuckt zurück, vor. Meine Güte, heiß ist es heute abend im Barry-O.
    »Soviel ich weiß, besitzt ihr genügend Intelligenz, um es euch selbst auszumalen.«
    »Aber es ist möglich.« Das ist ihre Anführerin, dieses Mädchen; sie ist die dunkelste und gierigste der drei.
    »Sicher.«
    Die Versuchung schimmert in ihrer Hand. Schwenke das Fläschchen, wirble den Lebensschwarm durcheinander.
    »Guter Stoff. Aurelian. Neues Zeug. Erzähl’s ihm, Würger.«
    »Mit dem Wachstumsfaktor APFE versetzt. Neu neu, Aurelian. Wir sprechen nicht nur über eine Lebensverlängerung, wir sprechen über eine Verjüngung. Der Quell der Jugend, alter Mann. Bin ein ganz schönes Risiko eingegangen, das Zeug aus meiner Firma zu schmuggeln. Mach, daß es sich für mich gelohnt hat.«
    Ein Luftzug, ein Hauch von Gardenien; der Duft, den Aurelian benutzt, um den Gestank von hundertundfünfzig Jahre altem Fleisch zu verbergen. Das Fleisch, das nach dem schreit und wimmert, was das dunkle Mädchen in der Hand hält. Wachstumsfaktor. Nicht nur das bloße Hinausschieben des Todes, sondern ein neuer Griff ins Leben. Das wirkliche Leben. Das Leben ist die Droge, und Aurelian ist ihr verfallen.
    »Nur unter der Voraussetzung, daß ihr euch der Gefahren bewußt seid.«
    »Ich glaube, du hast sie sehr einleuchtend dargelegt.«
    »Und daß ich nicht verantwortlich gemacht werde für irgendwelche … unvorhergesehenen Begleitumstände.«
    »Ja.«
    »Dann sind wir uns einig.«
    Sie grinsen einander an, diese Corporada- Kinder in ihrem glatten Leder und dem schlüpfrigen schwarzen Nylon. Fäuste werden geballt zum Ausdruck des Sieges, der Solidarität. Donner rüttelt am Barry-O, Blitze fangen sich in den metallenen Monolithen des industriellen Herzens von Hy Brazyl. Unten, dort wo die Automobile einst brummten und sich durch die Straßen schlängelten, fangen schwarze Plastikdinge an zu winseln und drücken sich trostsuchend aneinander.
     
    Man soll sich nicht vorstellen, daß sie die einzigen sind. Man soll sich nicht vorstellen, daß außer ihnen niemand die Pilgerreise hinunter unternommen hat in das Schattenland unter den Wolken und mit zuckenden, blitzenden Strahlen ins Rutschen gekommen ist; hinunter durch die ausgetretenen, matschigen Straßen auf der Suche nach Aurelian. Die Herren der Neuen Kirche haben ihre Schüler. So wie die Herren der Neuen Kirche selbst einst Schüler waren. Also soll man sich nicht

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