Die wahre Lehre - nach Mickymaus
freute mich auf den pechschwarzen bitteren Kaffee dazu, als eine Stimme, ähnlich der vor ein paar Tagen, aber tiefer, sagte: »Denk an deinen Cholesterinspiegel.«
Ich setzte mich an den Küchentisch und sagte mir, das Beste sei es, ganz ruhig zu bleiben, und durch eine überlegte Analyse herauszufinden, was hier eigentlich vorging. Stimmenhören gilt als eines der ersten Zeichen eines schizophrenen Schubes. Schnappte ich über?
Als Kind eines naturwissenschaftlichen Zeitalters entschloß ich mich zu einem Experiment. Ich legte alles zurück, was ich aus dem Kühlschrank genommen hatte. Es dauerte zwar länger, als ich gedacht hatte, aber tatsächlich meldete sich die Stimme wieder zu Wort, indem sie sagte: »Gut so.«
Schön. Das alles gab Sinn. Jemand sprach mit mir, und zwar Dinge, die in einem mehr oder weniger sinnvollen Zusammenhang mit meinen Handlungen in der Küche standen.
Ich verbrachte daraufhin einige Zeit mit Experimenten. Ich warf Restmüll in den Biomüllbehälter. Nach einigen Sekunden, die er offenbar zur Analyse brauchte, sagte der Mistkübel: »Mülltrennung ist erste Bürgerpflicht.« Als ich den Restmüll wieder herausnahm, sagte er: »Danke.« Das Ganze spielte ich gleich noch mal durch, und der Mistkübel sagte genau dasselbe wie zuvor; allzu flexibel war er offenbar nicht programmiert.
Der Herd konnte auch sprechen. Das war ganz natürlich. Er warnte mich rechzeitig vor dem Überkochen der Milch, aber er fragte mich auch, ob die Portion, die ich kochte, nicht zu groß für eine Person sei. Da ich nicht annahm, daß er feststellen konnte, wie viele Leute im Raum waren, behauptete ich, ich hätte Gäste. Er fragte mich, wie viele, und ich erwiderte drei. Das akzeptierte er. Während ich die Portion aß, die er als angemessen für vier Personen ansah, betrachtete ich ihn.
Die ganze Sache gefiel mir nicht besonders. Ich wußte, daß die Franzosen früher Autos gebaut hatten, die einem durch ein Sprechmodul Anweisungen gaben und plötzlich mit Grabesstimme »Tanken« sagten, statt lieber ein Lichtchen aufblinken zu lassen, und angeblich hatte es auch einen Wagen gegeben, der einem bei Rotlicht ermahnte: »Bohr nicht in der Nase, du Schwein!«, aber vor alledem war man wieder abgekommen, weil die Produzenten feststellen mußten, daß die meisten Menschen zu arrogant waren, um von ihrem Auto belehrt werden zu wollen.
Nun versuchte offenbar jemand dasselbe mit Küchen. Ich warf einen Blick in die Betriebsanleitung, die man mir in Form von zwei dicken Aktenordnern mitgeliefert hatte und die ich bis dahin ignorieren zu können geglaubt hatte, und stellte fest, daß tatsächlich eine ganze Menge Funktion programmiert worden waren. Der Herd konnte mir Kochrezepte erzählen, wenn ich in bestimmter Weise an seinen Schaltern drehte und übernahm natürlich bei der Ausführung dieser Rezepte auch alle Zeiteinstellungen, die seiner Meinung nach notwendig waren, der Kühlschrank belehrte mich über Konservierung bei verschiedenen Temperaturen, der Mistkübel hatte alles über Mülltrennung, Abfallverwertung und Recycling parat, was in einem Speicher seiner Größe untergebracht werden konnte, der Kühlschrank erstellte fortwährend ein Inventar seines Inhalts und analysierte anhand von Geruchsmolekülen den Zustand der Waren (was ihn auch in die Lage versetzte, mir Ratschläge bezüglich der Dinge zu geben, die ich herausnahm), und so ging es weiter und weiter, die Küchenstühle erinnerten einen gegebenenfalls und gelegentlich an das Übergewicht, und der Küchentisch, zu dem den Designern sonst offenbar nichts eingefallen war, wünschte einem ›Mahlzeit‹ und konnte ein Tischgebet sprechen, wenn man ihn entsprechend programmierte. Offenbar hatten die Designer angenommen, daß diese Funktion nicht jedermann erwünscht sei, deshalb war sie nur als Option vorhanden.
In den nächsten Wochen versuchte ich mit alldem zu leben. Täglich wurde ich darüber belehrt, daß ich zu cholesterinreich aß, zuviel Alkohol trank, Übergewicht hatte, zu sehr schwitzte (der Kühlschrank hielt einmal meinen Buttersäureausstoß für Käse in seinem Inneren und teilte mir geschwätzig mit, daß Käse eigentlich in einem kühlen Keller aufbewahrt werden sollte, im Kühlschrank aber an Geschmack verliere) und anderes Ärgerliches mehr. Daß mir der Tisch immer freundlich ›Mahlzeit‹ wünschte und zuprostete, sobald ich das Glas aufhob, war dagegen nur ein sehr bescheidener Ausgleich.
Eines Abends kam ich ohnehin
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