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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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und stellte eine Liste zusammen. Die Brille war ihm auf den Schnabel gerutscht, aber das schien er nicht zu bemerken. Gelegentlich hob er den Kopf, um Brauselimonade zu trinken.
    Schließlich, als das Fest seinen Höhepunkt erreicht hatte, erhob sich ein Ruf und wurde von tausend Stimmen aufgenommen. »Sher-lock. Sher-lock. Sher-lock.« Von irgendwo wurde eine Geige gebracht und Sherlock Holmes von Mickymaus in die Hände gedrückt.
    »Komm schon, Sherlock«, rief Micky. »Gib eine Nummer zum Besten. Seit du hier bist, wanderst du herum wie eine nasse Wolldecke.«
    Sherlock Holmes hielt die Geige ein paar Augenblicke unschlüssig, dann stieß er sie von sich. »Ich kann wirklich nichts spielen«, sagte er. Höhnisches Geschrei war die Antwort. »Ich bin eigentlich ein Beobachter. Tut mir leid. Ich nehme an, es liegt daran, daß ich nicht derselben Welt angehöre wie der Rest von euch, und ich versuche zu verstehen, was geschehen ist. Normalerweise bin ich von ziemlich rascher … äh …« Er blickte wie hilfesuchend umher. »Mit einem Fall wie diesem hatte ich nie zu tun. Ich finde eure Welt ziemlich … hm …«

    »Fremdartig?« warf Donald Duck ein, ohne den Blick von seiner Lektüre zu heben.
    »Ja, das ist der rechte Ausdruck, nehme ich an. Fremdartig. Ich teile eure Empfindungen nicht. Euren Zorn auf die Welt der Menschen. Ich verstehe ihn nicht.«
    Mickymaus schlug zwei Löffel über dem Kopf zusammen, und allmählich kehrte Ruhe ein. »Du verstehst also nicht, wie? Na, dann laß dir erklären. Laß dich von mir belehren, Sherlock-Baby.«
    Micky holte tief Atem, und Donald Duck schlug sein Buch zu.
    »Siehst du, Sherlock-Baby«, sagte Micky, »so wie wir es sehen, hast du irgendwie Glück gehabt. Ich meine, der alte Conan Doyle hat sich um dich gekümmert. Er machte dich zu einer geachteten, sogar bewunderten Figur.«
    »Er versuchte auch, mich umzubringen«, sagte Sherlock Holmes.
    »Das ist bei vielen Künstlern so, daß sie ihre populärsten Schöpfungen schließlich hassen«, bemerkte Donald Duck. Mickymaus runzelte die Stirn. »Verzeihung, Micky. Bloß ein Gedanke. Wollte nicht unterbrechen.«
    »Ja, gut«, sagte Micky, »abgesehen davon hielt der alte Conan Doyle dich sauber. Pfuschte nicht mit dir herum. Niemand gebraucht deinen Namen, um Sonnenschirme zu verkaufen, oder Puzzlespiele. Du wirst respektiert. Wir nicht. Vielleicht mag man uns, aber niemand achtet uns. Wir sind kaum mehr als ein kommerzieller Artikel. Wir sind der niedrigste gemeinsame Nenner des Geschmacks. Wir sind nett. Wir sind zahm, wir sind süß. Wir sind lustig. Wir … wir sind …« Micky suchte nach dem richtigen Wort.
    »Wie wär’s mit ›hygienisch‹?« sagte Schneewittchen.
    »Ja. Hygienisch. Hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Baby. Und was, zum Kuckuck, ist der Sinn einer erfundenen Figur, wenn sie hygienisch gemacht worden ist?«
    Sherlock Holmes zuckte die Achseln.
    »Na, ich will’s dir sagen. Wir sind ausgenutzt worden. Und deshalb bin ich zornig. Deshalb habe ich diese Revolution angefangen. Und ich bin noch nicht fertig. Ich werde böse sein. Niederträchtig. Richtig gemein. Ich sage dir, ich werde ihnen in die Ärsche treten, bis sie nicht mehr sitzen können.«
    Alle hatten sich um sie versammelt und kauerten still im Kreis und lauschten.
    Mickymaus nahm einen Zug aus der Flasche und fuhr fort: »Siehst du, im Grunde mag ich Kinder. Aber ich hasse das, was aus ihnen wird. Erwachsene. Etwas geht schief mit ihnen. Sie kotzen mich an. Sie bringen mich dazu, daß ich Blut sehen will. Sie haben uns lange genug ausgelacht. Jetzt sind wir an der Reihe. Ich werde alles ändern. Und nichts wird mich aufhalten, aber auch gar nichts!«
    Schneewittchen nahm das Thema mit blitzenden Augen und geröteten Wangen auf. »Also werden wir ihnen zeigen, was es mit der Phantasie auf sich hat, was, Micky?«
    »Richtig. Wir werden ihnen zeigen, daß Phantasie kein Kinderspielzeug ist. Sie ist wirklich. Sie ist alles, wovor sie immer Angst gehabt haben. Sie ist alles, was in ihnen steckt, und sie ist das herrlichste Ding auf diesem weiten Erdenrund. Das ist die wahre Lehre, nach Mickymaus. Und wenn ein paar Homo sapiens bei der Gelegenheit niedergetrampelt werden, nun, dann haben sie Pech gehabt. Laßt uns darauf trinken!«
    Flaschen machten die Runde, und alle füllten ihre Gläser und hoben sie. »Auf die Phantasie, für den Anfang«, sagte Mickymaus.
    »Auf die Phantasie«, wiederholten die Erfindungen und leerten ihre Gläser.

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