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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Angela hat eine Kühnheit an sich, die ich noch bei keiner anderen Frau beobachtet habe, nicht einmal bei Fabiola. Ich fühle mich wie ein richtiger Willie Wetdream, als würde ich in meinem Zimmer liegen und mir Fabiolas Schenkel vorstellen. »Du bist Korpsmann. Ich habe dich in deinem himmelblauen Overall gesehen. Du siehst wirklich wie Buddy Beautiful aus in deiner Uniform, wie ein Engel der Barmherzigkeit.«
    Vielleicht sollte ich Angela heiraten, überlege ich.
     
    Sonntagsdienst wird doppelt bezahlt, und ich denke schon an Montag, wenn ich den ganzen Extrakredit für ein Sushi -Festessen ausgeben werde. Weiße Reisbälle, bedeckt mit schönen, dicken Scheiben von rohem Thunfisch, Barsch, Gelbschwanz, Garnelen, knusprigem Tintenfisch, alles in Spezial- Shoyu- Sauce getunkt. Ooh, mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Gary Glutton.
    Cristo, das war ein übler Sabbat – ein halbes Dutzend T.d.e.H.s in weniger als drei Stunden. Sechs Seelenmörder gerettet. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich glaube, daß mehr Selbstmörder draufgehen. Begreifen die Leute nicht, daß Gott so viele von uns geschaffen hat, weil Er uns so liebt? Verstehen sie nicht, daß die Überbevölkerung und die rauhen Lebensbedingungen dazu dienen, unsere Liebe für Ihn auf die Probe zu stellen, und daß im Himmel eine um so süßere Belohnung dafür auf uns wartet, daß wir das erbarmungslose Leid in diesem Jammertal ohne zu klagen hingenommen haben? He, man braucht kein Gerry Genius zu sein, um das zu kapieren, was? Es steht alles da, im Katechismus.
    Der siebte Tod durch eigene Hand ist eine kleine, vogelartige Frau. Sie hat sich vor den San Juan-Ponce-Schnellzug geworfen und sich gerade selber zerfetzt. Ihr Kopf ist fast an einem Stück davongerollt, das Gesicht zu einer lächelnden Fratze verzerrt und von den Prellungen Blut an Wangen und Stirn, aber der Körper sieht aus, als ob er durch einen Mähdrescher geschickt worden sei. Cristo, was für eine schreckliche Art zu sterben. Fabiola sieht richtig blaß aus, aber wir sammeln das Fleisch in einem Körperbeutel, frieren die Stücke ein und bringen sie nach San Francisco. Noch ein Sünder, der in Satans Umarmung geglitten ist. Danny Depressing.
    Manchmal frage ich mich, warum wir uns abmühen. Laßt sie sterben, und wir sind sie los, Gott sei Dank. Aber dann erinnere ich mich: soll ich nicht meinen Nächsten lieben wie mich selbst? Und ich erinnere mich daran, daß kein Mensch die Hand gegen sich selbst erhebt, wenn er nicht von Beelzebub besessen ist, und daß es meine christliche Pflicht ist, dabei zu helfen, die unsterbliche Seele meines Bruders davor zu bewahren, für alle Ewigkeit in die Fänge des Bösen zu geraten. Den anderen dienen, nicht?
    Fabiola schluchzt, ganz heftig und unerwartet. Das geht mir wirklich an die Nerven. Wir haben gerade den Kopf und die Überreste der kleinen Vogelfrau in San Francisco abgeliefert, und ich sehe noch immer den glasartigen Film über ihren feuchten braunen Augen. Marty Morbid. Diese Augen sehen vertraut aus.
    »Was ist los?« frage ich. Meine Stimme ist nicht so beherrscht, wie ich es gern hätte, aber, he, ich bin wütend und, na ja, ein bißchen erschrocken. In den sechs Monaten, die wir zusammenarbeiten, habe ich Fabiola noch nie so gesehen.
    Sie schluchzt schlimmer, hustet gequält, schüttelt den Kopf und weigert sich, zu antworten. Ich halte vor einem Priesterladen und warte in der Reihe, um etwas geweihten Wein zu kaufen. Sie nimmt ein paar Schluck, und das scheint sie zu beruhigen, aber sie sagt noch immer nichts. Ich bin wirklich durcheinander wegen ihr, aber sie merkt es nicht. Gut, vielleicht bin ich ein kleiner Sidney Selfish, aber ich glaube nicht, daß sie ein Recht hat, mitten in der Schicht ohne jede Erklärung plötzlich nicht mehr mit mir zu reden. Aber, na, ich sehe schon, daß ich nichts dagegen tun kann, also halte ich einfach den Mund und stelle an meinem Stirnband irgendeinen heiteren Gospelsong ein.
    Nach einer Weile erhalten wir die Anweisung, uns um eine Springerin an der Morro Bay-Brücke zu kümmern. Fabiola kauert sich gegen die Beifahrertür, die Lippen zusammengepreßt, die Augen rot. Sie wirkt eingeschrumpft, als sei sie weit entfernt.
    »Möchtest du, daß ich um eine Untereinheit bitte?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Fühlst du dich gut genug, um das zu erledigen?«
    Sie schließt die Augen und nickt.
    Und sie erledigt es auch, sehr cool, sehr ruhig, sehr professionell, obwohl die Springerin versucht

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