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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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hat, ihr Baby mit sich zu nehmen. Ich wäre gern dabei, wenn diese Frau wiedererweckt wird, dann könnte ich ihr ins Gesicht schlagen.
     
    Eine Woche später. »Das war meine Mutter«, sagt Fabiola.
    »Was?«
    »Das war meine Mutter. Unter dem Schnellzug.«
    »Oh«, sage ich. He, ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich frage mich, was das für ein Gefühl ist, wenn man weiß, daß seine Mutter in der Hölle ist. Meine Mutter ist im Himmel. Sie starb jung, als sie mich zur Welt brachte. Mein Vater ist ein großes Tier im Christus-Bezirk. Er ist ein Unverheirateter und man erlaubt ihm, in der Gegenwart der Guten Hirtin anwesend zu sein, was ihn fast zu einer rechten Hand Gottes macht, nehme ich an. Er hat die Seele meiner Mutter persönlich gerettet. Er sah sie als die Jungfrau Maria verkleidet bei einer Osterprozession und erwählte sie. Das tun viele unserer heiligeren Männer, ein Mädchen aus der Gosse auflesen und sich ihrer spirituellen Bedürfnisse annehmen. Ich bin nur zweimal mit ihm zusammengekommen, aber er taucht ziemlich oft in den Fernsehnachrichten auf. »Wie ich sehe, kommst du, was dein Aussehen angeht, ganz auf mich«, sagte er und erklärte mir, warum es ihm seine Position nicht erlaubt, sich öffentlich zu mir zu bekennen oder zu meinem Unterhalt beizutragen. Ich sagte ihm, ich verstünde es. Ich weiß, daß er meine Mutter gerettet hat und daß es wahrscheinlich eine Sünde ist, was ich fühle, aber ich glaube, er ist ein Sammy Shit.
    »Möchtest du mich immer noch heiraten?« fragt Fabiola.
    »Ich bin schon verheiratet«, erwidere ich beklommen. Angela und ich haben einen Tag geheiratet, nachdem Beverly Bitch mit ihrer Tochter in den Armen von der Morro Bay-Brücke gesprungen ist. Ich merke, daß die Neuigkeit Fabiola erschüttert, aber zuerst sagt sie nichts.
    »Du bist wohl ein bißchen launisch, was?« fragt sie.
    »He, Dora Dillydally, du hast lange gebraucht, um ›darüber nachzudenken‹, nicht? Die Dinge verändern sich.«
    »Die Dinge verändern sich«, wiederholt sie leise und nickt.
    Wir fahren. Die Stille ist sehr laut. Ich kann das schwache Summen des Schwungrads des Chevyota hören. Wssssss … Und das Surren eines Luftschiffs der Pan Am, das über uns durch den Smog treibt.
    Ich bekomme Lust auf frische Kokosmilch und lenke vom elevado an einen Stand an der Straßenseite. Der Verkäufer holt zwei blaßgrüne Nüsse aus einem Eisschrank, haut ihre Spitzen mit einer Machete ab und steckt Strohhalme hinein. Ich gebe eine Fabiola. Ich weiß nicht, ob sie diese Geste zu würdigen weiß, aber sie nimmt sie und bedankt sich bei mir. Die Kokosmilch ist kalt und süß, wirklich erfrischend. Es ist vielleicht Anfang Oktober, aber die Sonne Puerto Ricos macht einem noch zu schaffen.
    »Das Leben war nicht immer so, wie es jetzt ist«, sagt Fabiola. Ich werfe ihr einen höflichen Blick zu. Sie redet mit sich selbst, eine Art Nelly Nuthouse. »Als meine Mutter ein Mädchen war, waren Staat und Kirche durch das Gesetz getrennt. Die Christliche Allianz kam erst an die Macht, als ich ein Kind war.« Sie sieht mich irgendwie sonderbar an. »Gottes Herrschaft ist kaum älter als du, obwohl deine Generation den Eindruck hat, es sei immer so gewesen.« Sie blickt weg und fährt leise fort. »Es ist nicht alles das, was es zu sein vorgibt.«
    Ich nehme an, Fabiola ist wegen ihrer Mutter durcheinander, aber ich höre es nicht gern, wenn jemand etwas gegen Gottes Herrschaft sagt. Ich sehe Fabiola so kalt an, wie ich kann, aber sie bemerkt es nicht.
    »Schon immer haben sich Menschen selbst umgebracht«, sagt sie. »Normalerweise deshalb, weil der Tod ihnen anziehender erscheint als das Leben, das sie führen. Aber es war nie so wie jetzt. Nie so wie jetzt. Wir sind nur eine Einheit und wir haben es im Monat mit siebzig bis hundert T.d.e.H.s zu tun. Eine Einheit, Juan Bautista. Jeden Monat. Denk darüber nach!« Sie sieht sich traurig um. »Es ist eine harte, rauhe Welt, überbevölkert und im Verfall begriffen. Und die Regierung macht es noch schlimmer, indem sie uns anspornt, uns bis zum Untergang zu vermehren. Es ist keine Welt, in der Menschen leben möchten.«
    »Du klingst wirklich wie Janey Jefferson«, erwidere ich wütend.
    »Das ist die einfachste Art, damit umzugehen, was? Jeden, mit dem man nicht einer Meinung ist, als ›Werkzeug des Teufels‹ zu brandmarken. Dann braucht man sich nie mit unangenehmen Gedanken auseinanderzusetzen. Oder mit dem, was die Wahrheit sein könnte.«
    »Ich

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