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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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sauber. Zwei Schlafzimmer, Unterkunft für eine sechzehnköpfige Familie. Mutter hat gewartet, bis Vater zur Arbeit ging, wo er Wohnmodule für ein neues Projekt zusammenbaut, und die Kinder zur Schule geschickt, bevor sie sich die Pulsadern durchschnitt und in der Badewanne verblutete. Nancy Neat.
    Als wir eintreffen, ist die Seelenmörderin noch warm. Fabiola schnippt auf ihr Kehlmikro und beginnt ihren Bericht einzugeben, während sie arbeitet. Fabiola ist sehr cool, sehr professionell. So wie ich sein möchte.
    »Einleitende Angaben. Weiblich. Mulattin. Um sechsunddreißig Jahre. Tod durch eigene Hand, Typ Zwei. Aufgeladen zur Überführung ins Centro San Francisco de Asís. «
    Wir bringen Druckverbände an beiden Handgelenken an und hieven den Körper auf die Schwebebahre. Die Haut der Frau ist aschfarben geworden. Wir bugsieren das Fleisch durch die Menge, die sich draußen versammelt hat, als die Stimmung feindselig wurde.
    »Warum laßt ihr sie nicht tot, ihr Bibelgauner?« fährt uns eine wütende Stimme an. »Was ist das für ein Leben, in das ihr sie zurückholen wollt?«
    Ich kann die Frau nicht ausmachen, aber das ist eindeutig Jeffersonsche Agitprop. Aber Fabiola und ich befolgen Anordnungen und ignorieren die atheistische Aufrührerin und das andere Gemurmel, das darauf folgt. Der Priester, der den Seelenmörder gemeldet hat, starrt durchdringend in die Menge, aber die Stimmen erheben sich hinter ihm.
    Gut, vielleicht verabscheuen manche Leute die Arbeit, die wir Korpsleute tun, aber, Cristo, unser Job ist nur ein anderer Weg, Gottes Gesetzen zu gehorchen. Gott schenkt dem Menschen das Leben, und nur Gott darf es ihm nehmen – das ist das Motto der Anti-Suizid-Korps von Amerika. Ich glaube an Gott und an sein Werkzeug, die Gute Hirtin, und ich glaube, daß die Arbeit, die ich tue, gut ist, und daß ich, indem ich sie verrichte, wie Jesus werde. Mein Glaube ist stark und unverrückbar wie eine mächtige Eiche. So einfach ist das.
    Wir schieben die Seelenmörderin in den Fond des Wagens, bringen die Sensoren an und programmieren den Kryopak. Alles Ricky Routine. In weniger als drei Minuten ist sie eingefroren. Wir überführen das Fleisch ins Zentrum in San Francisco, und sie lassen sie in die Wiederbelebungspipeline gleiten und schicken sie durch eine Reihe von Tests, um herauszufinden, was wiederhergestellt werden muß (Hirnzellenregeneration schmerzt mehr als der Tod, habe ich gehört). Dann tauen sie sie auf, beheben die Schäden und erwecken sie wieder zum Leben, so gut wie neu und bereit, sich für ihr Verbrechen zu verantworten. Wenn sie erst für ihre Sünden gebüßt hat und wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen worden ist, wird sie zu ihrer Familie zurückgeschickt. Susie Saved.
    Gut, vielleicht bin ich der Sünde des Stolzes schuldig, aber ich fühle mich Howie Happy, wenn ich weiß, daß ich eine Seele gerettet habe. Es ist unwahrscheinlich, daß die Frau noch einmal versuchen wird, sich umzubringen. Einmal durchs Eis ist für die meisten genug.
     
    Fabiola ist eine gute christliche Frau. Gründlich gepflegtes Gesicht, streng zurückgebundenes Haar, Nummern zu große Overalls, die kein bißchen von dem Körper darunter zeigen. Aber, he, ich weiß, daß sie große Brüste hat. Richtige Betty Boobs. Wann immer sie einen Smoghustenanfall hat, spannt sich ihre Uniform darüber. Das Geburtsdatum auf ihrem Abzeichen lautet 14/2/55, also ist sie dreiunddreißig, elf Jahre älter als ich. Aber sie sieht jünger aus. Ich fange gerade mein Noviziat an, bin kaum einen Monat bei den Korps.
    Das Wetter ist Harry Hell geworden. Das ist nicht übertrieben. Mittagstemperaturen steigen bis Mitte dreißig an – heiße Augusttage im frühen Mai, mein Gott. Im Laufe des letzten Jahrhunderts etwa hat sich das Wetter überall verändert und Puerto Rico ist keine Ausnahme. Die Sommer sind heißer, die Winter kälter. Der Atlantik hat sich seit den Tagen meines Großvaters um etwa zwei Grad abgekühlt. Tatsache. Sicher, Winterwallfahrer, die mit dem Ballon vom frostigen Festland herüberkommen, finden die Gewässer des einundfünfzigsten Staates noch immer herrlich warm, aber wir Inselbewohner springen zwischen Oktober und März nicht mehr in die Brandung. Zu Freddie Frigid. Brr.
    Aber, he, an einem heißen Maitag wie heute ist eine Abkühlung mehr als willkommen. Ich parke den Kühlwagen vor einer Bude an einer Straßenseite vor dem Strand von Isla Verde. Aah, piraguas. Tamarindensaft über einem Kegel

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