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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Kustos lächelte. »Tja, so ist es fast immer – ein jäher und tiefer Schock. Aber wenn man es schafft, ihn zu überwinden und zu verstehen, was hinter all dem hier steckt …«
    »Sie haben meine Frage von vorhin noch nicht beantwortet«, erinnerte ihn Seymour.
    »Darüber können wir später noch sprechen. Holen Sie sich erst einmal Ihre Unterlagen. Die Treppe finden Sie dort rechts.« Daraufhin verschwand der Kustos wieder hinter dem gelben Vorhang, um den Hefter mit der Kennungsliste an ihren Platz zurückzulegen.
    Seymour stieg die Treppe hoch und schritt tiefer hinein in den steinernen Leib der Marciana, einen gewaltigen und massigen Körper, der aus langen und steilen Treppen, dunklen Korridoren und weiten Hallen voller Schatten und Schemen bestand.
    In jedem Stockwerk erwartete ihn ein Saal, der so groß war, daß die Konturen der Wände sich irgendwo im Halbdunkel verloren. In regelmäßigen Abständen zeigten sich geschlossene Türen mit emaillierten Schildern – oder einfach nur vergilbten Zetteln, die mit Klebestreifen daran befestigt waren. Die Wandbereiche zwischen den Türen wurden vollständig von riesenhaften Holzschränken oder bis zur Decke emporreichenden Regalgestellen aus Metall beansprucht. Auf einigen Schränken lagen zudem noch Truhen und Kisten oder sogar andere quergelegte Schränke.
    In der Mitte einer jeden Saalwand befand sich eine große Bogentür mit verzierter Marmoreinfassung und einem aus dem gleichen Material bestehenden Abakus, und durch diese Tore gelangte man in die verschiedenen Treppenhäuser.
    Für die Beleuchtung sorgten Glühbirnen in schmiedeeisernen Laternen, die an langen Ketten von der Decke herabhingen. Der gelbliche Glanz erhellte jedoch nur einen Bereich, der nicht mehr als einige wenige Meter durchmaß, und der Rest eines jeden Saals lag in grauschwarzem Schatten.
    Seymour wurde neugierig und ging langsam an den geschlossenen Türen vorbei. Nach und nach, während er Stockwerk um Stockwerk höher gelangte, deuteten die jeweiligen Aufschriften auf immer neue Fachgebiete hin. In der ersten Etage las er Schilder mit den Bezeichnungen ›Selbstjustiz‹, ›Betrug‹, ›Beweismittelarchiv‹, ›Konkurse‹, ›Havarien‹, ›Sicherstellungsmaßnahmen‹ und anderen Hinweisen, die sich alle auf die Legislative bezogen.
    In der nächsthöheren Etage nannten die Schilder nur Namen, und Seymour las die von Sokrates, Hegel/Nietzsche, Gioberti, Platon und dann auch die von Marx, Feuerbach, Comte und Poincaré, die entweder einzeln oder in Gruppen aufgeführt waren.
    Es folgten einige schwere Stahlgestelle, die an einem riesenhaften Schrank lehnten, in dessen Frontfläche eine breite Leiste fehlte. Die Öffnung wirkte heller als das angrenzende Holz und sah aus wie eine eitrige Wunde, da sich an den Rändern gelblicher Staub an Dutzenden von kleinen Spänen angesammelt hatte.
    Seymour trat näher heran. Ganze Dokumentenbündel, die nicht mehr von der fehlenden Leiste zurückgehalten wurden, quollen regelrecht hervor. Als er in die Öffnung spähte, boten sich ihm die ledernen Rücken der vielen Ordner und Mappen wie die aufgeblähten Chitinleiber monströser Insekten dar, die Hunderte von Schriftrollen, uralten Karten und Verträgen und anderen Unterlagen verschlungen hatten und nur darauf warteten, mit weiteren historischen Leckerbissen gefüttert zu werden.
    In der vorderen Wand setzte sich die Reihe der geschlossenen Türen fort, und Paulus las Schilder mit den Aufschriften Aristoteles, Kant, Kierkegaard, Croce, Engels – und etwas weiter Fichte, Rosmini, Gentile, Galluppi, Bradley, Spencer und Russell.
    Seymour stieg ins dritte, vierte und dann ins fünfte Stockwerk empor, und hier ging er an den Türen vorbei, die Giotto und Dante gewidmet waren, dem Impressionismus und dem Expressionismus, da Vinci und Einstein, und als er an der mit dem Schild ›Studierzimmer‹ gekennzeichneten Tür vorbeischritt, dachte er: Dort drin wurde der Kustos geboren.
    Weitere Treppen ging es empor, in den sechsten und schließlich siebten Stock. Am Querbalken des Eingangs war ein Blatt befestigt, auf dem der Löwe des Sankt Markus abgebildet war, und darunter las Seymour die Worte: Pax tibi Marce evangelista meus. Und darunter wiederum befand sich ein handschriftlicher Zusatz: ›Die Republik Venedig.‹
    In diesem Saal waren die einzelnen Türen nur mit Nummern gekennzeichnet. Paulus trat in das mit der Zahl 21 markierte Zimmer. Zu seiner großen Überraschung erhellte strahlendes

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