Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
Sonnenlicht den Raum. Es glänzte durch ein in der einen Wand in Bodenhöhe eingelassenes halbrundes Fenster herein und spiegelte sich auf dem Metall der vielen Regale wider, die schwere Aktenlasten zu tragen hatten.
    Es bereitete ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten, die gesuchten Unterlagen zu finden, und es dauerte nur einige wenige Minuten, sie zu fotografieren und sich auf diese Weise Kopien für den persönlichen Gebrauch zu machen.
    Als er in den alten Dokumenten blätterte, löste sich ganz feiner Staub von ihnen, die das hereinfallende Sonnenlicht wie Myriaden winziger Kristalle brachen und das ganze Zimmer mit einem goldenen Gleißen erfüllten. Die Seymour umgebende Luft verwandelte sich dadurch in so etwas wie einen historischen Botschafter. Die Präsenz der Stadt und all dessen, was sie darstellte, manifestierte sich in dem gelben Leuchten, und einen Teil davon nahm Paulus mit jedem Atemzug in sich auf. Als er das Zimmer verließ, fühlte er sich wie benommen.
    Er kehrte in das Korridor-Büro zurück und stellte dort fest, daß der Kustos den Fernseher eingeschaltet hatte. Seymour dankte ihm für die Hilfe und wiederholte noch einmal seine Frage. Der Kustos zögerte erst und erwiderte dann: »Früher oder später werden wir alle angerufen. Sie sicher auch.«
    »Wollen Sie damit sagen, die Anrufe bedeuten den Tod?«
    »Mehr oder weniger.«
    »Aber was hat denn das Telefon damit zu tun?«
    Der Kustos seufzte. »Ach, es sind nur noch wenige, die sich um diese Stadt kümmern, und es erfolgen immer mehr Anrufe, weil es sehr schwierig ist, Nachfolger zu finden. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwierig. Viele behaupten zunächst, sie würden gern bleiben, doch später gehen sie. Manche von ihnen kehren zurück, und von denen wissen wir dann, daß sie für immer bleiben. Bis zum jeweiligen Anruf.«
    Seymour merkte, daß der Kustos mit diesen Bemerkungen seiner Frage auswich.
    Für den Rest des Tages vertraute Paulus auf seinen Instinkt und mied die Orte, an denen sich die größten Touristenmassen zusammendrängten. Und es war schon spät am Abend, als er begriff, daß er nach S. Trovaso zurückkehren mußte.
    Er erinnerte sich nicht mehr an den Weg, und so wanderte er durch dunkle und schmale Gassen, die nur dann und wann von einer Lampe erhellt wurden. Aus den Fenstern der Häuser fiel nicht der geringste Lichtschein, und Seymour vernahm weder die Stimmen von Menschen noch die charakteristischen Geräusche eines eingeschalteten Holosehers. Die Straßen waren völlig leer, und nirgends entdeckte er ein Geschäft oder ein geöffnetes Lokal. Diese Stadt lebte nur in den Bereichen, die von den Touristen aufgesucht wurden. In den restlichen Vierteln lebten nur wenige Personen, wie etwa Umàn und der Kustos der Marciana.
    Kurz darauf jedoch sah Paulus eine Gestalt, die an der Ufermauer eines Kanals lehnte. Als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, stellte er fest, daß es sich um ein Mädchen handelte. Sie blickte auf das dunkle Wasser. Als Seymour auf sie zuschritt, drehte sie sich um und lächelte ihn an. Sie war sehr jung, und er nahm zunächst an, eine Touristin vor sich zu sehen, die sich aufgrund der eher knappen Beschreibungen des offiziellen Reiseführers in diesen abgelegenen Teil der Stadt verirrt hatte.
    »Verlaufen?« fragte Seymour.
    Die junge Frau lächelte erneut und antwortete mit einem starken deutschen Akzent: »Nein, ich wohne hier. Ich kontrolliere gerade den Austausch.«
    Seymour wußte nicht, was sie meinte. »Was für einen Austausch?«
    »Den des Wassers«, erklärte sie. »In einigen Minuten wird dieser Kanal hier trockengelegt, um den Grund zu reinigen und das Wasser auszutauschen. Für diese Arbeit bin ich zuständig.« Sie musterte Seymour eingehender. »Du bist Tourist, nicht wahr? Was führt dich hierher?«
    Seymour stützte die Arme auf die Ufermauer und blickte ins schwarze Wasser. »Ich bin wegen einiger Nachforschungen hier … Gehörst du zu denjenigen, die sich um die Stadt kümmern? Ich habe schon zwei von ihnen kennengelernt …«
    »Zum Beispiel Umàn?«
    Seymour sah das Mädchen an. »Ja. Ihn und den Kustos der Marciana. Kennst du sie ebenfalls?«
    »Ach, wir sind hier nur wenige, und deshalb ist es unmöglich, nicht miteinander bekannt zu sein. Manchmal treffen wir uns alle, aber das kommt nicht sehr oft vor … Es gibt hier zu viel für uns zu tun. Sieh nur. Jetzt ist es soweit …«
    In der Stille war ein Geräusch zu vernehmen, das wie ein tiefes

Weitere Kostenlose Bücher