Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich A. Kittler
Vom Netzwerk:
Im Vergleich mit der komplexen menschlichen Ordnung der Stadt sind unsere gegenwärtigen raffinierten Elektronik-Mechanismen zur Speicherung und Übertragung von Information grob und beschränkt.«
    So klar vermerkt Mumford, daß Städte mit Computern vergleichbar oder kompatibel, also Medien sind. Aber was den Vergleich und seine Auflistungen trägt, sind nur Funktionen der Informationsspeicherung und -übertragung, die überdies auf Diachronie beschränkt bleibt und gleichzeitig Netze unterschlägt. Die grundlegende dritte Funktion der Informationsverarbeitung dagegen (wohl weil sie den humanistischen Bewertungen Mumfords ihren Grund entzöge) wird gar nicht erst statuiert. Als hätte der Städtehistoriker seine Einsicht vergessen, daß es zur Größe des alten Florenz auch gehörte, mit den Uffizien das erste Bürohaus, also eine magistrale Datenverarbeitungszentrale eingerichtet zu haben.
    MEDIEN. Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information – nichts anderes ist die elementare Definition von Medien überhaupt. Unter sie fallen so altmodische Dinge wie Bücher, so vertraute wie die Stadt und so neue wie Computer. Nur daß die Computerarchitektur von Neumanns diese Definition zum erstenmal in der Geschichte (oder als ihr Ende) technisch implementiert hat. Ein Mikroprozessor enthält Recheneinheiten, Speicher und Busse nicht nur auch, sondern ausschließlich. Die Recheneinheit führt logische oder arithmetische Befehle nach Maßgabe des Programmspeichers aus; die Busse übertragen Befehle, Adressen und Daten nach Maßgabe der Recheneinheit und ihres letzten Befehls;der Speicher schließlich erlaubt es, Befehle oder Daten unter eindeutig bestimmten Adressen auszulesen oder auch einzuschreiben.
    Abbildung 4. Aus: Geburt einer Hauptstadt am Horizont , hg. von Dietmar Steiner, Georg Schöllhammer, Gregor Eichinger, Christian Knechtl, Wien 1988, S. 510 f..
    Dieses Netz aus Verarbeitung, Übertragung und Speicherung, anders gesagt: aus Befehlen, Adressen und Daten reicht hin, um alles zu berechnen, was (nach Turings berühmtem Beweis von 1936) überhaupt berechenbar ist. Die Entwicklung technischer Medien, wie sie vom digitalen Übertragungsmedium Telegraphie über die analogen Speichermedien Schallplatte und Film zu ihren Übertragungsmedien Radio und Fernsehen führte, kommt an ein logischperfektes Ende. Alle anderen Medien sind in die Diskrete Universale Maschine grundsätzlich überführbar. Grund genug, auch das Funktionieren der Stadt auf Begriffe der allgemeinen Informatik zu bringen. Grund genug, noch die vergangenen Medien und historischen Funktionen des sogenannten Menschen als ein Spiel zwischen Befehlen, Adressen und Daten zu entziffern.
    DATEN können dabei beliebige Variablen sein, wenn sie nur ein definiertes Format haben (analog oder digital, Bytes oder Words usw.). Von-Neumann-Maschinen können Zeichenketten, die für Zahlen stehen, und Zeichenketten, die für Buchstaben stehen, an ein und demselben Datenspeicherplatz ablegen. Entsprechend erlaubte es ein kaiserlicher Reformbefehl vom 12. Jänner 1782, in der Stadt St. Pölten »das nur dem beschaulichen Leben dienende Karmeliterinnenstift (mit 19 Nonnen) aufzuheben, die Räumlichkeiten für das Knabenerziehungshaus des Regimentes Pelegrini und für Garnisonszwecke zu verwenden, die Schmuckgegenstände und rituellen Objekte der Kirche teilweise einzuziehen, zu verkaufen oder zu verschenken und diese selbst als Magazin einzurichten« (Herrmann). Aus einem Speicher, der samt seinen Objekten für die Ewigkeit eingerichtet war, wurde also ein Speicher mit wahlfreiem Zugriff, der fortan zur disziplinierenden Mobilmachung von Truppen und Schülern diente. Im Computersystem entspricht den schreiblese-kundigen Knaben ersichtlich der Schreib-Lese-Speicher (Random Access Memory) für variable Daten, den rituellen Objekten dagegen der Festwertspeicher (Read Only Memory) für Programmbefehle und Konstanten. Die sogenannte Spätaufklärung als Revolution von oben, in Österreich nicht anders als in norddeutschen Ländern, tauschte einfach Speichertypen aus und installierte damit ein System, das Information nicht nur speichern, sondern auch löschen kann: vom Radiergummi über das »Individuum« bis zur Hauptstadt. Seitdem darf oder soll vergessen werden, daß die Stadt als Gegebenheit oder Datum früher einmal ohne Staat auskam. Heikler als der Austausch von Daten ist der von Datenformaten. Im Fall Stadt legen ja schon die Moduln, nach denen sie

Weitere Kostenlose Bücher