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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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rieche das Gras, spüre, wie mich die nassen Halme streifen, die Nässe an meine Haut dringt. Den Spaten habe ich geschultert. Der Nieselregen rieselt am Stiel entlang und läuft mir den Rücken hinunter. Mich fröstelt.
    Ich denke nach, als ich da draußen bin, in dem Meer aus nassem Gras; ich denke nach. Mir wird klar, warum ich nie etwas angebaut habe, warum ich nie die Gräser und Wurzeln gezüchtet habe, um mich besser versorgen zu können. Ich hatte nicht vor, ein für allem Mal zu bleiben. In den zehn Jahren meines Exils hatte ich immer vor zurückzugehen. Ich wusste es nur nicht. Die Unausweichlichkeit der Schuld.
    Dann mache ich mich ans Torfstechen. Statt Regen läuft mir bald Schweiß den Rücken hinunter. Ich ziehe meine Jacke aus, stoße den Spaten ins Moor. Ich sehe Dampf von meiner Haut aufsteigen. Mein Brustkorb ist angespannt. Meine Kraftund Ausdauer haben nicht lange vorgehalten. Ich schaue auf meine Unterarme. Die Adern treten hervor. Ich sehe dieselbe Haut, dieselben Leberflecke, dieselben Narben wie seit so vielen Jahren.
    Als es geschieht, kommt es mir vor wie in Zeitlupe. Ich habe den Spaten über die Schultern erhoben. Ich weiß genau, wo der Stich hinmuss. Ich stoße den Spaten in den Torf, und Wasser spritzt mir ins Gesicht, in die Augen, und das Blatt fährt durchs Wasser in etwas hinein, und ich weiß sofort, dass es kein Torf ist. Ich werfe den Spaten auf festen Boden und knie mich hin. Mit beiden Händen greife ich ins Wasser, taste umher, umfasse das Ding und ziehe es heraus, wobei das Wasser in Strömen von seiner Stirn, aus seinen Augen und Nasenlöchern läuft und Schlamm ihm von den Wangen glitscht. So einfach geht das. Ich greife ins Wasser. Die eine Hand findet seinen Kopf, die andere einen Arm, ich ziehe, und der Rumpf gleitet aus dem Wasser wie ein ertrunkenes Kind, und das Wasser ergießt sich aus ihm. In dem Körper ist zu viel Wasser.
    Ich lege ihn aufs Gras. Mein Herz klopft wild. Der Körper ist vollständig. Der Spaten hat einen Teil der Schulter durchschnitten, aber alles ist da: Arme, Beine, Hände, Kopf. Der Körper ist braun, torffarben. Die Haare sind schmutzig rotbraun, ebenfalls torffarben. Um den Hals liegt eine Art Schlinge.
    Ich starre auf den Mann. Nur Möwen sind zu hören. Da bewegt er sich auf einmal. Oder vielmehr, ein Auge bewegt sich. Das Augenlid hebt sich ein wenig. Ich springe hoch und höre einen Schrei, der nur von mir gekommen sein kann, aber mir war nicht bewusst, dass ich ihn ausstoße. Ein gelblich weißer Augapfel mit einer schwarzen Iris blickt unter dem Lid hervor. Starrt in den Regen. Ich ertappe mich dabei, wie ich das Gesicht prüfend ansehe und die Hand vor ihm schwenke. Quatsch,denke ich bei mir. Es liegt nur am Regen, dem unsanften Herausziehen aus dem Schlamm, der veränderten Kopfhaltung. Das andere Augenlid bleibt geschlossen, als wäre es mit der Wange verschweißt. Beim näheren Hinsehen fällt mir noch etwas auf. Ein dünner Strich über der Kehle, der von einer Seite des Kinns bis zur anderen geht.
    Wie ist der Mann gestorben?, frage ich mich. Schlinge oder Messer? Vielleicht erst die Schlinge und dann zusätzlich das Messer, oder umgekehrt. Ich sehe mir den Hals noch einmal an. Es ist schwer zu sagen. Die Schlinge ist dünn, dürftig, es könnte sogar ein Halsband sein – Schmuck statt Mordinstrument. Andererseits kann die kleinste Kleinigkeit einen Menschen töten.
    Ich beuge mich vor und schnuppere an der Leiche. Mir ist nur halb bewusst, was ich tue. Sie riecht nach Torf. Sie riecht nach Erde, Wasser, Schlick, Schlamm. Sie riecht nach der Insel.
    Ich weiß nicht, was ich jetzt damit machen soll.
    Ich versuche das Augenlid zu schließen. Es schließt sich nicht. Ich möchte ihn nicht zu hart anfassen. Ich lege ihm die Hand auf die Stirn. Ich nehme seine Hand in meine. Sie fühlt sich kalt an, und die Gliedmaßen lassen sich nicht bewegen. Ich fasse ihm in den Mund und fahre mit den Fingern an seinen Zähnen entlang. Dahinter ertaste ich etwas, das nicht seine Zunge sein kann. Ein Stückchen Holz, denke ich und ziehe es heraus. Ich halte es ans Licht. Es ist eine Fingerspitze. Ich betrachte seine Hände. Das Fingerglied ist nicht von ihm. Ich stelle mir vor, wie er sich gewehrt hat. Jemand packt ihn am Hals, passt aber nicht auf, und er beißt ihm aus Angst oder Wut auf den Finger. Der andere greift zum Messer, zieht ihm den Strich über die Kehle und bekommt seinen Finger frei, aber erst, nachdem ein Stück davon abgebissen

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