Die Wand der Zeit
schlafe in der Hocke.
Ich laufe.
Ich laufe, bis ich den Strand erreiche, und steche in See.
Ich sehe sie am Strand stehen. Reglos. Sie zeigen nicht auf mich. Ich kann ihre Augen sehen.
Ich beobachte sie, bis sie am Horizont verschwinden.
Dreizehn Tage sind vergangen seit meiner Ankunft.
13
Es ist, als käme ich nach Hause. Das kann ich nicht leugnen. Die Insel ragt plötzlich vor mir aus dem Nebel, möchte ich sagen. Aber daran ist nichts Plötzliches. Sie schwebt eines Morgens in mein Blickfeld, während ich auf dem kaum vorankommenden Floß liege.
Ein Zuhause, das ich nie wiedersehen wollte.
Es war eine schwere Überfahrt, äußerst mühsam. Ich bin mit wenig Trinkwasser losgefahren, ohne rechten Proviant. Nur Obst hatte ich so viel mitgenommen, wie ich tragen konnte. Von einer Orange am Tag habe ich gelebt. Die letzte war vertrocknet. Ein Fisch war noch an Bord gewesen. Völlig verschimmelt. Am dritten Tag auf See fing es an zu regnen. Das hat mir das Leben gerettet. Ich benutzte das Segel als Wasserspeicher. Und ich machte eine Angelschnur am Boot fest. Ein Fisch biss auf den bloßen Haken an.
Wenn ich wieder über die Ruinen und das Standbild gefahren bin, habe ich nichts davon gemerkt. Ich war völlig allein.
Ich fuhr genau nach Osten. Ich rechnete nicht damit, wieder auf die Insel zu treffen. Selbst mit Kompass wäre es ein Wunder, so ein kleines Stück Land im weiten Meer wiederzufinden. Offenbar hat mich die Insel heimgeholt.
Mein Herz schlägt ein wenig schneller, als ich sie anlaufe. Ich denke an die Sümpfe, das Torfmoor, den Wald. Ich denkean die Stille hier, wo nur hin und wieder eine Möwe schreit. Ich denke an meine jetzt unbewohnte Höhle.
Ich komme an der Steiluferseite an. Die Kliffs haben in meiner Abwesenheit nicht aufgehört zu bröckeln. Große Flächen Fels und Erde sind ins Meer gestürzt. Ich sehe den großen weißen Felsbrocken auf dem Sand.
Auch der Regen hat nicht aufgehört. Es regnet ganz leicht. Ich weiß gar nicht, ob es Regen oder Nebel ist.
Ich lege an der Stelle an, wo ich vor acht Wochen losgesegelt bin.
Als Erstes grabe ich ein paar Knollen aus. Ich esse sie roh.
Es ist, als wäre jemand anders hier gewesen. Eine Axt und ein Spaten lehnen an der Höhlenwand. Mein im Freien stehender Wasserbehälter läuft über. Spuren im Gras. Spuren am Fels. Alles ist, wie ich es zurückgelassen habe, doch es ist so lange her, dass auch ein Fremder sich da betätigt haben könnte.
Die Höhle stinkt. In den Ecken, unterm Gras entdecke ich Fisch, verdorbene Knollen, eine Schale Schleimsuppe. Darüber wundere ich mich nicht, denn ich denke an den geisterhaften Andalus zurück. Ich werfe die Sachen weg. Mit ihm bin ich jetzt fertig.
Ich stoße auf meine alten Aufzeichnungen. Ohne das beinah durchgehend brennende Feuer haben sie Feuchtigkeit aufgenommen und fühlen sich klamm an, auch wenn sie noch lesbar sind. Ich denke an die Aufgaben, die vor mir liegen: Nahrung sammeln, Torf stechen, Buch führen. Kurze Zeit hatte ich angenommen, ich würde mein Leben vielleicht woanders als auf dieser untergehenden Insel beschließen. Aber es sollte nichtsein. Jetzt muss ich ausrechnen, wann das Ende kommt, ob es durch meine Abwesenheit beschleunigt oder aufgeschoben worden ist. Ich lehne mich an die Wand. Ein erstickter Laut entfährt meiner Kehle.
Es fällt mir schwer, mich an Elba zu erinnern. Tora ist die, die ich in Erinnerung habe. Ihr schwarzes Haar, die durchscheinende und daher grau wirkende Haut. Augen so dunkel, dass manchmal die Pupillen nicht zu sehen waren. An sie erinnere ich mich, an sie denke ich. An die lebende, meine ich. Möglichst nur an sie. Sie ist jetzt mehr denn je bei mir.
Ich erinnere mich, wie sie mir vom Strand aus nachsah. Ich erinnere mich, wie sie, festgehalten von zwei stämmigen Soldaten, am Stadttor stand, als mich eine Faust ins Gesicht traf. Ich schmecke förmlich ihre Angst. Mir wird flau davon.
Und ich erinnere mich an Abel. An den Abend vor meiner ersten Festnahme. Ich erinnere mich an meine Hand um seinen Hals. An seine raue Stimme, die scharfen Worte, wie ein Schlag in die Magengrube. Ich erinnere mich an seine Worte und wie mir klar wurde, dass er es war, dass er hinter dem Ganzen steckte. Ich weiß noch, wie er zusammengesunken auf seinem Stuhl saß, als ich ging, und mit welchem Triumph in den Augen er hinter mir herschaute.
Es fällt mir immer noch schwer, den Sinn darin zu sehen, zu verstehen, dass es richtig gewesen sein soll.
Ich erinnere
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