Die Wanderapothekerin 1-6
Gedanken mit ihren Erzählungen beschäftigte. Wie schlimm es war, wenn man nur an den Tod dachte, hatte die Mamsell an der alten Gräfin gesehen.
Klara überlegte, wie sie sich dieser Verpflichtung entziehen konnte. Als sie jedoch in die traurigen Augen der Schwangeren blickte, brachte sie es nicht übers Herz, sich heimlich davonzuschleichen.
»Was ist mit Martha?«, fragte sie.
»Die bekommt eine Arbeit zugewiesen«, gab die Mamsell kurz angebunden zurück.
»Ich möchte mit ihr reden!«
Die Mamsell überlegte kurz und nickte. »Gut, ich werde sie nach draußen holen. Du kannst vom Fenster des Nebenzimmers aus mit ihr sprechen.«
Mehr, das begriff Klara, würde sie nicht erreichen. Daher nickte sie, träufelte ein wenig Pfefferminzöl auf ein Tuch und reichte es der Gräfin. »Hier, damit Ihr etwas freier atmen könnt!«
»Danke! Dieser Duft belebt mich!« Die Gräfin lächelte zum ersten Mal, seit Klara hier war.
Die Mamsell bedachte das Mädchen mit einem anerkennenden Blick. Zu viel Hoffnung wollte sie nicht in Klara setzen, doch vielleicht gelang es der Wanderapothekerin, den Tod ihrer Herrin so lange hinauszuzögern, bis deren Kind zur Welt gekommen war.
Nun verließ die Mamsell die Zimmerflucht der Gräfin und trat kurz darauf in die Kammer, in der Martha mit missmutiger Miene saß.
»Was ist mit Klara? Warum darf ich nicht zu ihr?«, fragte diese sofort.
»Die Apothekerin kümmert sich um Ihre Erlaucht. Bis ihr weiterziehen könnt, wirst du drüben bei den Wirtschaftsgebäuden mithelfen. Schlafen kannst du hier. Und jetzt komm mit! Klara will dich sehen.«
Martha sprang auf und eilte zur Tür. Als sie jedoch den Flur entlang zum Haupttrakt gehen wollte, hielt die Mamsell sie auf.
»Halt, wir gehen in den Park! Du wirst von dort aus mit deiner Freundin sprechen.«
Achselzuckend drehte Martha sich um und folgte der Bediensteten nach draußen. Zwar hatte sie den Park bereits durch das Fenster gesehen, konnte das Gelände aber nun erst jetzt richtig betrachten. Mit feinem Kies bestreute Wege führten zwischen Blumenrabatten und seltsam geformten Bäumen hindurch, deren Kronen Kugeln, Pyramiden oder Würfel bildeten. Ebenso kunstvoll beschnittene Hecken und Büsche trennten die einzelnen Teile des Parks voneinander, und überall standen Statuen halbnackter Frauen und Männer. Zwar dachte Martha sich nicht viel dabei, gelegentlich mit einem Mann nackt unter die Decke zu schlüpfen, aber diese Zurschaustellung nackter Brüste und nur unvollständig verhüllter männlicher Geschlechtsteile verwunderte sie.
»Warum machen die das?«, fragte sie.
Die Mamsell sah sie erstaunt an. »Was meinst du?«
»Hier, die ganzen Nackten! Das ist doch fürchterlich unanständig.« Martha wies auf die Statue eines Mannes, der zwar auf dem Kopf und am Oberkörper ein Löwenfell trug, sich ansonsten aber durch ein Gemächt besonderer Größe auszeichnete, das von einem Feigenblatt nur zum Teil bedeckt wurde.
»Das ist bei den hohen Herrschaften so Mode«, belehrte die Mamsell die junge Frau. »Man stellt die Götter des Altertums immer so dar. Die Statue vor uns zeigt Herkules, den Stärksten unter den Göttern – und jene Frau dort ist die Venus.«
»Die zeigt ja ihren nackten Arsch!«, rief Martha empört.
Um die Lippen der Mamsell zuckte es amüsiert. »Als Göttin der Liebe kann Venus nicht viel am Leib tragen.«
»Die anderen Steinweiber sind fast genauso nackt – und die Männer ebenfalls!« Martha machte aus ihrer Missbilligung keinen Hehl.
Die Mamsell kümmerte sich nicht mehr um die Empörung des Mädchens, sondern führte es zu dem Fenster, hinter dem Klara stand.
Kaum sah Martha ihre Freundin, hatte sie die Standbilder im Park vergessen. »Stimmt es, dass wir länger hierbleiben?«, fragte sie, als Klara das Fenster geöffnet hatte.
»Ein paar Tage werden es wohl sein! Ich soll die Herrin pflegen.«
Martha unterdrückte das »Hoffentlich stirbt sie bald!«, das ihr bereits auf der Zunge lag, und nickte stattdessen. »Du hast wirklich sanfte Hände, das habe ich schon am eigenen Leib verspüren dürfen. Nur was machen wir mit Herrn Tobias? Er wird in Michelstadt vergebens auf uns warten.«
Das war auch Klaras Sorge. Sie wusste jedoch nicht, was sie an ihrer Situation ändern konnte. Wenn sie einfach ihr Reff nahm und sich des Nachts heimlich davonschlich, würde ihr Gräfin Griseldas ausgezehrtes Gesicht im Traum erscheinen und sie anklagen, sie im Stich gelassen zu haben.
»Vielleicht kommt
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