Die Wanderapothekerin 1-6
er uns entgegen. Er kennt ja die Strecke, die wir zurücklegen müssen«, sagte Klara und wusste nicht, ob sie das wirklich wollte. Am liebsten wäre es ihr, wenn er direkt weiterreisen würde. Die Arzneien, die Rumold Just nach Kitzingen geschickt hatte, konnte ihr auch der dortige Wirt übergeben.
»Ich soll drüben bei den Wirtschaftsgebäuden mitarbeiten«, fuhr Martha fort.
»Tu das! Aber gib acht, dass man dir nicht zu viel auflädt und dich auch nicht bedrängt.«
»Das werden die Knechte nicht wagen!«, mischte sich die Mamsell ein, die das Gespräch mithörte.
Martha fand, dass sie sich wirklich nicht unter jeden Mann legen musste. Wenn, dann sollte es sich für sie schon lohnen. Bei Tobias hatte sie eine Ausnahme gemacht, doch dem verdankte sie auch ihr Leben.
»Wenn einer frech wird, haue ich ihm eine runter, dass ihm die Ohren schellen«, sagte sie und fragte Klara, wann sie wiederkommen könne.
»Morgen zur selben Zeit. Du siehst es an der Uhr dort oben!« Die Mamsell wies auf die große Uhr, die auf der Gartenseite des Hauptgebäudes angebracht war. Das half Martha wenig, denn weder in ihrem Dorf noch am Schloss Güssberg hatte es solche Uhren gegeben.
»Ich weiß nicht, wie ich das erkennen soll«, sagte sie unsicher.
»Es ist jetzt halb zehn, sprich eine halbe Stunde vor zehn Uhr. Das siehst du daran, dass der lange Zeiger nach unten auf die Sechs zeigt, während der kleine zwischen der Neun und der Zehn steht«, erklärte ihr die Mamsell.
Martha nickte und war froh, dass Klara ihr unterwegs die Zahlen von eins bis zehn beigebracht hatte. Eigentlich interessierte sie sich wenig dafür, doch nun begriff sie, dass sie dieses Wissen brauchen konnte.
»Also, dann bis morgen!«, verabschiedete sie sich und verließ den Park. Dabei bemühte sie sich, die anstößigen Figuren nicht anzusehen.
Klara bedauerte, dass Martha nicht zu ihr kommen und ihr helfen durfte, doch weder die Mamsell noch die Zofe Emma hätten dies erlaubt.
5.
A ls Martha den Wirtschaftshof betrat, merkte sie rasch den Unterschied zum Schloss. Zwar nahm man auch hier Anteil am Schicksal der jungen Gräfin, doch von Gift sprach man höchstens hinter vorgehaltener Hand. Auch drohte niemand dem wahrscheinlichen Erben Ludwig von Triberg blutige Rache an, wie die Mamsell und Emma es im Schloss getan hatten.
Viel zu arbeiten gab es nicht, denn die Feldarbeit wurde von leibeigenen Bauern in den umliegenden Dörfern erledigt. Allerdings mussten Vorräte herbeigeschafft und die Pferde versorgt werden, die zu besseren Zeiten der gräflichen Familie bei der Jagd oder für die Ausfahrten gedient hatten. Auch um die jetzt nutzlosen Jagdhunde kümmerte man sich, und ein Knecht erzählte Martha von den Falken, die man einfach freigelassen hatte.
Da die Arbeit für das Gesinde eigentlich schon so zu wenig war, hätte die Wirtschafterin Martha am liebsten ins Schloss zurückgeschickt. Dann aber zeigte sie auf einen großen Spankorb.
»Du kannst in den Wald gehen und Tannenzapfen sammeln. Die brauchen wir im Herbst zum Räuchern von Fischen.«
Der Wald war Marthas Zuhause gewesen, und so nickte sie. »Mach ich!«
»Gib aber Obacht! Ich habe letztens im Wald einen Mann gesehen. Gewiss führt er nichts Gutes im Schilde, denn er hat sich versteckt, als er mich bemerkte«, warnte eine andere Magd.
»Ich werde aufpassen!« Einen Augenblick lang fragte Martha sich, ob sie die Wirtschafterin um ein Messer bitten sollte, um bewaffnet zu sein, wenn ein Schurke ihr zu nah auf den Leib rückte. Dann aber lachte sie in Gedanken über sich selbst. Wenn ein Mann das tat, musste er damit rechnen, dass sie sich seine Waffen schnappte und gegen ihn verwendete. Das war auf jeden Fall leichter, als wenn sie mit einem Messer herumfuchteln würde, das ihr jeder mit einem Stock aus der Hand schlagen konnte.
Mit entschlossener Miene hob sie den Korb auf und machte sich auf den Weg. Es war ein waldreiches Gebiet, und sie musste nicht weit gehen, um zwischen die uralten Eichen und Buchen eintauchen zu können. Tannen gab es zwar auch, doch die waren seltener, als sie erwartet hatte, und sie musste eine Zeitlang suchen, bis sie die ersten Tannenzapfen fand. Martha schätzte, dass sie die Zapfen von etwa einem Dutzend Bäume benötigte, um ihren Korb zu füllen. Das würde über Mittag hinaus dauern, und sie hatte keinen Proviant mitgenommen.
Seufzend zuckte sie die Achseln. Als Graf Bennos Leibeigene hatte sie beim Fronen oft den ganzen Tag hungern müssen. Hier
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