Die Wanderhure
Dieser Emporkömmling dienert vor dem Kaiser und seinen engeren Beratern, dass es zum Erbrechen ist.«
Der Graf schwieg abrupt, so als hätte er schon zu viel gesagt. Marie begriff auch so, was er meinte. Eberhard von Württembergwagte es nicht, einen Prozess gegen Konrad von Keilburg anzustrengen, weil er nicht wusste, wie weit der Kaiser daran interessiert war, Gerechtigkeit walten zu lassen. Im schlimmsten Fall sprach er Konrad von Keilburg seinen Raub zu und erhöhte Rupperts Stand sogar noch. Sie hatte das Gefühl, den Boden unter sich zu verlieren.
Der nächste Morgen brachte Neuigkeiten, die in Windeseile durch die ganze Stadt eilten. Papst Gregor XII. entsagte durch seinen Bevollmächtigten Carlo Malatesta, den Signore di Rimini, dem Stuhl Petri und zog sich als Kardinalbischof Angelo Correr nach Recanati zurück. Wie es hieß, habe der Kaiser diesen Rücktritt, den militärisch durchzusetzen er nicht in der Lage gewesen wäre, mit großzügigen Zugeständnissen erkauft, um sich vor der Welt als oberster Monarch der Christenheit zu beweisen. Der Nächste, auf den die Augen des Kaisers sich jetzt richteten, konnte auf keine Zugeständnisse und keine Gnade mehr hoffen.
Marie hatte von Jan Hus’ Predigten gehört und bewunderte die Unbeirrbarkeit, mit der dieser seine Lehren vertrat. Viele Bürger der ärmeren Schichten und Knechte verehrten den streitbaren Magister aus Prag und beteten für ihn. Der Kaiser und die Kardinäle aber mochten es nicht, vor allem Volk als Blutsauger und Unterdrücker angeklagt zu werden, und hatten im Geheimen schon den Stab über ihn gebrochen.
Es gab so viele widersprüchliche Meldungen über den Prozess gegen Magister Hus, dass diejenigen, die seinen Predigten gelauscht hatten, noch auf Gnade für ihn hofften, als Ritter Bodman bereits die Stadtknechte von Konstanz auf den Brüel führte, um den Scheiterhaufen für Hus zu errichten.
Um Hus zu demütigen, befahl Kardinal Pierre d’Ailly, der den Prozess gegen ihn geleitet hatte, dass die in der Stadt anwesenden Hübschlerinnen Hus auf seinem letzten Gang begleiten sollten. Die meisten Huren zuckten nur mit den Schultern, denn manhatte sie so oft gedemütigt, dass sie sich freuten, wenn es jemand anderem schlechter ging als ihnen.
Marie hätte den Befehl am liebsten abgelehnt, doch sie wollte kein Aufsehen erregen und riskieren, vor den erzürnten d’Ailly geschleppt und mit Ruten gestrichen zu werden. So ein Schauspiel ließen die Bürger sich nur ungern entgehen, und dann würde Utz sie erkennen. Sicher hatte der Fuhrmann von Jodokus’ Zimmerwirtin in Straßburg erfahren, dass dieser sich kurz vor seinem Tod mit einer auffallenden, blonden Hure vergnügt hatte, und den überstürzten Aufbruch dieser Frau mit den verschwundenen Dokumenten in Verbindung gebracht. In dem Moment, in dem er sie erkannte, war ihr Leben nicht einmal mehr einen Hundedreck wert.
Hiltrud und Kordula bedauerten wortreich das bevorstehende Ende des Magisters und wünschten dessen erbarmungslosen Richtern und vor allem dem verräterischen Kaiser, der sein Wort gebrochen hatte, die Pest an den Hals. Dennoch machten sie sich wie Marie auf den Weg zum Kirchplatz bei St. Peter.
Als die drei dort ankamen, hatte sich schon eine große Anzahl anderer Huren versammelt. Einige, die wie Madeleine als Gespielinnen geistlicher Herren in Konstanz weilten, trugen so aufreizende Kleider, dass sie die Blicke jedes Mannes auf sich zogen. Ihre Brüste sprengten beinahe die engen, weit ausgeschnittenen Mieder, und ihre Röcke waren so geschickt gearbeitet, dass jeder Windstoß ihre Formen preisgab.
Auch Madeleine trug ein Kleid aus dünnem, durchscheinendem Stoff, aber sie war nicht in der Stimmung, Kunden anzulocken. Als sie Marie und die anderen begrüßte und umarmte, schimmerten Tränen in ihren Augen.
»Heute wird der falsche Hahn gebraten«, klagte sie leise. »Sollen die schwarzen Krähen und die Purpurvögel ruhig glauben, wir würden uns darüber amüsieren. Gott allein weiß um unsere Gedanken und wird es uns im anderen Leben vergelten.«
Sie hatten nicht viel Zeit, miteinander zu reden, denn die Stadtbüttel erschienen und forderten sie auf, durch das Schottentor zu gehen und von dort bis zur Richtstätte für den böhmischen Ketzer Spalier zu stehen. Marie zuckte zusammen, als sie unter den Männern Hunold entdeckte. Der vierschrötige Büttel ging so nahe an den vordersten Huren entlang, dass sein Ellbogen ihre Brüste streifte. Marie wich zurück und
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