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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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durchsetzen, doch auch er ist nicht in der Lage, die Fehden und das Machtstreben der großen Geschlechter zu beenden, außerdem stellt ihn die Situation der Christenheit vor schier unlösbare Probleme.
    Nicht nur ein oder zwei, nein gleich drei Kirchenfürsten erheben den Anspruch, die legitimen Nachfolger des Apostels Petrus zu sein, und bekämpfen einander mit aller Macht. Gleichzeitig erleidet der Klerus einen Niedergang, der aus Mönchen und Priestern Hurenböcke und aus Äbten und Bischöfen Landesherren macht, denen weniger die ihnen anvertrauten Seelen als ihr eigener Reichtum und ihre eigene Größe am Herzen liegen.
    In England hat bereits der Prediger John Wycliffe seine Stimme gegen die unwürdigen Verhältnisse im Klerus erhoben, und in Prag steht der Magister Jan Hus auf, um den hohen Herren die Leviten zu lesen. Doch wer einmal ganz oben steht, lässt sich ungern in einen geringeren Stand zurückversetzen. Keiner der drei Päpste, weder Gregor XII. in Rom noch Benedikt XIII. in Avignon noch Johannes XXIII. in Pisa wollen zurücktreten und den Weg für die Einheit des katholischen Glaubens frei machen.
    Aus diesem Grund beruft Kaiser Sigismund ein Konzil nach Konstanz ein. Aber nur einer der Päpste erscheint persönlich, nämlich Johannes XXIII., der sich davon die Unterstützung des Kaisers gegen seine beiden Widersacher verspricht. Gregor undBenedikt lassen sich durch Gefolgsleute vertreten. Doch wie soll der Knoten entwirrt werden, wenn die spanischen Königreiche den einen Papst unterstützen, Frankreich den nächsten und der Kaiser den dritten? Nach langen Verhandlungen wird Johannes XXIII. schließlich für unfähig erklärt und von der Liste der Päpste gestrichen. Der Name Johannes ist durch ihn in solchen Verruf geraten, dass ihn sechshundert Jahre lang kein Papst mehr wählen wird. Erst im zwanzigsten Jahrhundert wird es mit dem Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli wieder einen Papst geben, der diesen Namen annimmt, und er wird der wahre Johannes XXIII. sein. Gregor XII. verzichtet schließlich freiwillig auf sein Amt, während Benedikt XIII. bis zu seinem Tod daran festhält, doch nach der Wahl des Kompromisskandidaten Oddo Colonna als Papst Martin V. ist sein Einfluss auf seinen engsten Umkreis beschränkt.
    Obwohl es dem Konzil in Konstanz gelingt, die Papstfrage zu lösen, versagt es in den anderen wichtigen Punkten. Weder wird dem Prunk und der Unmoral der Kleriker ein Riegel vorgeschoben noch ein ehrlicher Dialog mit den Kritikern der Kirche gesucht. Jan Hus, der im Vertrauen auf das durch den Kaiser zugesicherte freie Geleit nach Konstanz gekommen ist, wird dort vor ein bischöfliches Gericht gestellt, in einem fragwürdigen Verfahren zum Tode verurteilt und auf dem Brüel vor Konstanz verbrannt. Die Folgen dieses Verrats werden die lang anhaltenden und gnadenlos geführten Hussitenkriege und die beginnende Entfremdung der Menschen deutscher und tschechischer Herkunft in Böhmen sein.
    Gut hundert Jahre nach dem Konstanzer Konzil wird in der Stadt Wittenberg ein Augustinermönch seine 95 Thesen an die Kirchentür nageln und damit das Werk von Wycliffe und Hus fortsetzen und schließlich beide übertreffen. Die katholische Kirche kann auch er nicht reformieren, und sein Protest wird die Gläubigen bis weit über das Reich hinaus spalten. Die Auseinandersetzungmit der neuen Konfession wird jedoch im katholischen Klerus und in den Klöstern nicht ohne Folgen bleiben und sie in den hundert Jahren danach mehr verändern als in den tausend Jahren zuvor.
    Im Verlauf des Konstanzer Konzils lockern sich die Sitten in der Stadt in einer Weise, dass der Minnesänger Oswald von Wolkenstein sie spöttisch ein Hurenhaus nennt, das von einem Stadttor bis zum anderen reiche. Die angereisten Hübschlerinnen müssen sich daher mit radikalen Mitteln gegen die unlautere einheimische Konkurrenz zur Wehr setzen. Viele der hohen Herren nehmen sich aber auch einfach die Mädchen, die ihnen gefallen, wie zum Beispiel der Graf von Württemberg, der eine Konstanzer Bürgerstochter auf offener Straße auf sein Pferd zieht und in sein Quartier entführt.
    Die Stadt Konstanz hat noch lange nach dem Konzil mit dessen Nachwirkungen zu kämpfen, und selbst eine Generation danach stellt der Begriff »Konziliumskind« die schlimmste Beleidigung dar, die ein Konstanzer einem anderen an den Kopf werfen kann.

 
     
    Im Knaur Taschenbuch Verlag sind bereits
folgende Bücher der Autorin erschienen:

Die Kastratin
Die

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