Die Wanderhure
warfen, und fühlte sich so hilflos wie eine Fliege im Spinnennetz. In optimistischeren Momenten sagte sie sich, dass Ruppert und Utz sie bisher nicht erkannt hatten, obwohl sie eine stadtbekannte Erscheinung geworden war. Wahrscheinlich brachten sie die Hure vom Ziegelgraben nicht mit dem Bürgerstöchterlein zusammen, dessen Leben sie vor fünf Jahren zerstört hatten. In diesen Augenblicken schwelgte sie wie früher in ihren Racheplänen und sah sich schon mit einer Hand ihren Onkel im Triumphzug aus dem Kerker holen und mit der anderen Ruppert und seine Handlanger hineinstoßen. Diese Zuversicht hielt jedoch nie lange an.
Sie musste sich eingestehen, dass sie Angst vor der Zukunft hatte. Ganz gleich, wie es ausgehen mochte, ihr selbst konnte niemand mehr helfen. Sie war wie Dreck auf der Straße, den jeder mit Füßen treten durfte, und das würde sie bleiben. Aber ehe sie ebenso elend zugrunde ging wie die meisten Huren,wollte sie den Verursacher ihres Unglücks auf dem Schindanger enden sehen.
So drängte sie den Württemberger bei ihrem nächsten Besuch, endlich etwas gegen Konrad von Keilburg und dessen Bruder zu unternehmen. Graf Eberhard hob bedauernd die Hände. »Das täte ich liebend gern, mein Kind, aber mir sind im Augenblick die Hände gebunden. Der Kaiser ist so mit seinen eigenen Plänen beschäftigt, dass er es mir sogar übel vermerken würde, wenn ich Vorbereitungen zu einer Fehde mit dem Keilburger träfe und meine Truppen sammelte. Er wittert überall Widerstand und Verrat und ist schnell bereit, zu verdammen. Jetzt, wo Johannes XXIII. wegen Unwürdigkeit von der Liste der Päpste gestrichen und in einen simplen Kardinal Baldassare Cossa zurückversetzt worden ist, will er den nächsten Stellvertreter Gottes auf Erden stürzen.«
Eberhard von Württemberg lachte, und Marie fragte sich, ob er sich über die streitenden Päpste lustig machte oder über den Kaiser.
Sie interessierte sich nicht für die Politik der Mächtigen, solange sie nicht selbst Gefahr lief, zwischen deren Mühlsteine zu geraten. Aber in der Hoffnung, den Württemberger doch noch überreden zu können, ging sie auf das Gespräch ein. »Was plant der Kaiser denn jetzt?«
»Als Nächstes will er Papst Gregor absetzen. Außerdem ist ihm Magister Jan Hus ein Dorn im Auge, in dessen aufrührerischen Reden er eine Gefahr für seine Krone sieht. Sigismund ist ja auch König von Böhmen, und es heißt, Magister Hus rufe die Böhmen zum Ungehorsam gegen die heilige Kirche und ihren Beschützer, den Kaiser und König auf.«
Wieder war Eberhard von Württemberg nicht anzusehen, ob er der gleichen Meinung war wie der Kaiser.
Marie zog die Stirn kraus und sah den Grafen kopfschüttelnd an. »Nach allem, was ich gehört habe, predigt Magister Hus nichts,was gegen Gott und die von ihm geschaffene Ordnung gerichtet ist. Dass er die Unmoral der Prälaten und die Prunksucht der Äbte und Bischöfe anprangert, müsste im Sinne jedes wahren Christen sein. Schließlich sind diese Herren zu Hirten der Christenheit ernannt worden und nicht zu ihren Kerkermeistern.«
Graf Eberhard lächelte nachsichtig. »Lass diese Worte niemanden hören, Marie, sonst giltst auch du als Ketzerin. Solche Ansichten bedrohen die Autorität der Kirchenfürsten und damit auch die des Papstes und des Kaisers. Die Mächtigen dieser Welt sehen ihren Stand und ihre Aufgabe anders als Jan Hus und du, vielleicht sogar auch anders als das Volk. Auch ich habe Magister Hus’ Predigten gelauscht und vieles von dem, was er sagt, gutgeheißen. Die heilige Kirche muss von Grund auf erneuert, und ihre Repräsentanten müssen auf den ihnen zustehenden Platz verwiesen werden. Magister Hus begeht nur den Fehler zu glauben, seine Predigten würden das bewirken, und vergisst dabei, dass jemand, der ganz oben steht, sich ungern in einen geringeren Stand zurückversetzen lässt. Den größten Fehler hat Hus jedoch gemacht, als er Kaiser Sigismunds Schutzbrief vertraute. Wenn der Kaiser zu der Ansicht kommt, Hus wäre überflüssig geworden, ist das Pergament nicht mehr wert, als sich damit den Hintern zu wischen.«
Die derbe Sprache und das bittere Lachen des Grafen zeigte Marie, wie wenig es ihm gefiel, einem so unzuverlässigen Mann wie Sigismund von Böhmen huldigen zu müssen. »Wäre Sigismund ein souveränerer Herrscher, könnte ich offen mit ihm reden. Doch der Keilburger steht in seiner Gunst, und Ruppertus Splendidus hat es geschafft, sich bei ihm beliebt zu machen.
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