Die Wanderhure
Wirkung.Dennoch waren die beiden jungen Huren erleichtert, denn sie wussten aus eigener Erfahrung, wie unangenehm ein Hurenwirt werden konnte, wenn er eine seiner Verdienstquellen verlor. Sie verabschiedeten sich noch kurz von ihren Freundinnen und verließen dann so hastig das Haus, als fürchteten sie, die Gelegenheit könne ihnen unter den Fingern zerrinnen.
»Gott sei Dank«, stöhnte Kordula auf. »Ich dachte schon, die beiden würden überhaupt nicht mehr gehen. Ich hatte heute noch keinen einzigen Freier.«
»Ich auch nicht«, seufzte Hiltrud. »Außerdem konnte Hedwig nur für ein paar Minuten aus ihrem Versteck herauskommen, nachdem sie stundenlang dort gebraten wurde, und kann nun endlich etwas essen.«
»Ich sage ihr, dass die Luft jetzt rein ist.« Marie stieg in ihre Kammer hoch, stellte sich auf ihre Truhe und schob die beiden Bretter zurück, die den Einstieg in den kleinen Verschlag versperrten. Hedwig steckte so rasch den Kopf heraus, als wäre sie kurz vor dem Ersticken. Ihr Kopf war puterrot und schweißüberströmt.
»Ich kann nicht mehr, Marie. Ich muss dringend auf den Abtritt. Noch ein paar Augenblicke, und ich hätte mich hier erleichtern müssen.«
»Das wäre nicht so gut gewesen. Helma hat eine gute Nase.« Marie half ihrer Kusine aus dem engen Versteck und trat beiseite, damit das Mädchen ins Erdgeschoss sausen konnte. Zum Glück besaß das Haus einen Abtritt, der an der Rückseite angebaut war und den man ungesehen von den Nachbarn betreten konnte. Sekunden später waren Hedwigs erleichterte Seufzer bis ins obere Stockwerk zu hören.
»Das war wohl Rettung im letzten Augenblick«, spöttelte Kordula. Sie bedauerte Hedwig, machte aber keinen Hehl daraus, dass sie ihre Anwesenheit als störend empfand. Sie wollte noch etwas hinzufügen, sah aber einen Mann im Aufputz eines bairischen Reiteroffiziers draußen vorbeigehen und eilte hinaus, um ihn anzusprechen. Marie, die die Treppe hinuntergestiegen kam, zupfte Hiltrud am Ärmel.
»Es kann sein, dass wir sehr schnell von hier verschwinden müssen. Ich bin erkannt worden.«
»Von wem?« Hiltrud legte die Hand auf die Kehle, als hätte der Schreck ihr den Atem geraubt.
»Von Linhard, dem ehemaligen Schreiber meines Vaters. Er hat mich in der Kirche gesehen und beim Namen genannt. Wenn er Ruppert oder Utz davon berichtet, sind wir in höchster Gefahr.«
Hiltrud ließ sich die Begegnung genau schildern. »Wir sollten alles so herrichten, dass wir jederzeit fliehen können. Doch was willst du mit Hedwig machen? Wenn du sie mitnimmst, wird sie auch als Hure arbeiten müssen.«
Auf diese Antwort wusste Marie keine Antwort. Wenn Mombert als Mörder des jungen Steinzellers hingerichtet wurde, gab es für Hedwig keinen anderen Ausweg. Marie kannte ihre Kusine inzwischen gut genug, um zu ahnen, dass sie das Leben einer Hure nicht lange ertragen würde. Ihr fehlte die dafür notwendige Härte, und sie würde Erlösung im Wasser suchen, ehe der Sommer zu Ende war.
»Er ist Mönch geworden, sagst du?« Hiltrud hob in einer plötzlichen Eingebung den Kopf. »Dann siehst du wahrscheinlich eine Gefahr, wo gar keine ist. Linhard mag dich erkannt haben. Aber ist es sicher, dass er dich auch verraten wird? Wenn er in ein Kloster eingetreten ist, kann das heißen, dass er das Verbrechen an dir längst bereut hat und den Rest seines Lebens dafür sühnen will.«
Von dieser Warte aus hatte Marie es noch nicht betrachtet. Doch selbst wenn Hiltruds Vermutung stimmte, waren sie noch lange nicht in Sicherheit. Linhard konnte Ruppert unabsichtlich auf ihre Spur lenken. Vielleicht ließ der Magister ihn überwachen und wusste schon von ihrer Begegnung. Marie war klar, dass siedazu neigte, Gespenster zu sehen, aber wenn es um ihren verräterischen Bräutigam ging, nahm sie lieber das Schlimmste an. Einige Augenblicke schwankte sie zwischen Flucht und Bleiben. In Panik davonzulaufen brachte ihr gar nichts ein. Wenn sie Ruppert im Staub sehen wollte, musste sie notfalls ihr eigenes Leben riskieren.
Marie lächelte bitter. Ruppert hatte dafür gesorgt, dass sie zur Hure wurde. Doch gerade damit hatte er ihr auch Möglichkeiten eröffnet, die zu seinem Untergang führen konnten. Hätte er sie in ein Kloster gesteckt, hätte sie weder Bruder Jodokus kennen gelernt noch den Grafen von Württemberg.
IV.
I n den nächsten Tagen wechselten Maries Stimmungen schneller als ihre Kunden. Manchmal fürchtete sie sich vor jedem Schatten, den Vorübergehende auf das Haus
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