Die Wanderhure
gefährdete. Beide Lösungen gefielen ihm jedoch nicht. Da er selbst Konstanz nicht verlassen konnte, würde Marie, wenn er sie wegschickte, wieder das Leben einer Wanderhure aufnehmen müssen und wäre dabei völlig auf sich allein gestellt; und einen Mann kaltblütig zu ermorden war nicht seine Art, selbst wenn es sich dabei um einen so widerwärtigen Schuft wie Linhard handelte.
Er beugte sich über Marie und küsste sie in den Nacken. »Kopf hoch, Mädchen. Ich bringe dich jetzt erst einmal zu Bett. Dann trinkst du einen Schluck Wein und schläfst dich aus, um dich von deinem Schrecken zu erholen. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Kerl sofort zu Magister Ruppertus läuft und ihm von eurer Begegnung erzählt.«
Die Vorsicht, mit der er sich umsah und jedes Mal die Richtungwechselte, wenn er in der Ferne einen Mönch in der Kutte der Barfüßer wahrzunehmen glaubte, widersprach jedoch seinen Worten.
Als sie endlich das Häuschen am Ziegelgraben erreichten, fanden sie neben Hiltrud und Kordula auch Helma und Nina vor, die in ein erregtes Gespräch vertieft waren. Nina hatte ein blau geschlagenes Auge und eine tiefe, stark blutende Platzwunde auf der Stirn, die Hiltrud gerade versorgte. Obwohl Marie noch völlig im Bann der unerwarteten Begegnung stand, kümmerte sie sich sofort um die Italienerin.
»Was ist dir denn zugestoßen? Hat dich ein Freier so zugerichtet?«
Helma schüttelte an ihrer Stelle den Kopf. »Nein, das war unser Hurenwirt. Ihm passte es nicht, dass sie heute bei unserer Versammlung war und dadurch keine Freier empfangen konnte. Zuerst hat er nur herumgeschrien, und als Nina ihm widersprach, hat er zugeschlagen. Also, zu dem brutalen Kerl gehen wir nicht mehr zurück. Können wir nicht bei euch bleiben? Es ist zwar eng, aber Nina und ich brauchen wirklich nicht viel Platz.«
Marie und Hiltrud sahen sich erschrocken an. Es war bisher schon nicht einfach gewesen, Hedwig vor fremden Blicken zu verbergen. Doch wenn Helma und Nina bei ihnen wohnten, mussten sie die beiden ebenfalls einweihen, und das schien ihnen zu gefährlich. Marie fragte sich, wie sie die beiden Reisegefährtinnen abweisen konnte, ohne sie zu kränken und wieder ihrem Wirt auszuliefern. In dem Moment räusperte Michel sich und tippte Helma an.
»Hier ist nicht Platz genug für fünf von euch. Aber ich denke, ich kann euch beiden helfen. Mein Bruder Bruno will in einem Teil seines Hauses ein Bordell einrichten. Ihr könntet also bei ihm unterkommen. Wenn er weiß, dass ich euch beschütze, wird er euch gut behandeln und euch auch nicht betrügen. Außerdem habe ich gute Freunde, die einen Rat von mir, wo sie saubere undangenehme Mädchen finden können, gerne befolgen werden. Na, was meint ihr dazu?«
»Vielleicht trägst du dich gleich selbst auf der Liste ihrer Freier ein.« Marie wusste selbst nicht, weshalb sie so gereizt reagierte. Nina und Helma sahen sie bestürzt an, Michel lachte jedoch schallend.
»Aber Marie, das würde doch deinem Ruf schaden. Die ganze Stadt weiß doch, dass du die einzige Hure bist, zu der ich gehe.«
Maries Gesicht verzerrte sich vor Zorn, Hiltrud begann hingegen zu kichern und prustete schließlich los. Nina und Helma versuchten, ihre Belustigung zu verbergen, doch ihre Schultern zuckten. Die Treue, mit der Michel an Marie hing, die ihn doch so kratzbürstig behandelte, war ein beliebter Gesprächsstoff bei den Konstanzer Huren.
Helma atmete tief durch, sah zu Michel hinauf und zupfte spielerisch an den Schnallen seines Brustpanzers.
»Dein Vorschlag ist gar nicht so schlecht, Soldat. Wenn nicht jede von uns ihr eigenes Zimmer hat, kann sie nicht genug anschaffen. Verbürgst du dich für deinen Bruder?«
»Ich glaube, das kann ich.« Michel erinnerte sich an eine Zeit, in der Bruno ihm bei jedem Widerwort eine Maulschelle gegeben hatte. Doch das lag weit zurück. Jetzt wieselte sein Bruder dienstbeflissen um ihn herum, sowie er die Adlerschenke betrat, und las ihm jeden Wunsch von den Augen ab.
»Ich würde sagen, wir gehen gleich zu ihm. Und du, Nina, mach dir keine Sorgen, dass er dich wegen deines blauen Auges abweisen könnte. So versteht mein Bruder gleich, warum du Rüdis Haus verlässt. Wenn dein Hurenwirt kommt und Ansprüche stellen will, wird er ihm die richtige Antwort geben. Sollte Rüdi euch dann doch bedrängen, werde ich meine Leute in sein Bordell schicken. Die sorgen schon dafür, dass ihm kein Zimmer heil bleibt.«
Michels Lachen nahm dieser Drohung ein wenig die
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