Die Wanderhure
versteckte sich hinter Helma und Kordula. Hunold beachtete sie jedoch nicht, denn er hatte nur Augen für Madeleines Reize.
»Na, du hübsches Vögelchen, wie wär’s, wenn wir zwei uns heute Abend ein wenig vergnügten?«, fragte er sie.
Die Hure musterte ihn spöttisch. »Wenn du einen Ecu d’or bezahlen kannst, gerne. Ansonsten solltest du zu den Pfennighuren gehen. Die freuen sich gewiss über deinen Besuch.«
Madeleines Spott traf Hunold an seiner schwachen Stelle, denn er lief rot an, bedachte sie mit einem drohenden Blick und stieß wilde Drohungen aus. Als ihn eine andere Hure herausfordernd fragte, ob er wisse, dass er eben die Mätresse eines hohen französischen Herrn beleidigt hatte, zog er jedoch den Kopf ein und rannte hinter den anderen Bütteln her.
In Maries Erinnerung war Hunold ein brutaler, rechthaberischer Kerl, der es liebte, anderen Angst einzujagen. Jetzt stellte sie mit einer gewissen Häme fest, dass der Büttel sich nur den Leuten gegenüber aufspielte, die sich nicht wehren konnten, während er vor hohen Herren zu einem kriechenden Wurm wurde. Zu jeder anderen Stunde hätte Marie sich gefragt, welchen Nutzen sie aus dieser Erkenntnis ziehen konnte. Doch jetzt hatte sie keinen Sinn dafür. Wie die anderen Huren folgte sie den Bütteln vor das Tor und stellte sich so auf, dass sie den Leuten, die Jan Hus begleiten würden, nicht ins Auge stach.
Hinter den Huren drängten sich die einfachen Bürger in solchen Scharen durch das Tor, dass es den Bütteln schon bald nicht mehr gelang, den Ansturm in geregelte Bahnen zu lenken. Mariesah Michel in blank gewienerter Wehr an der Spitze seiner Fußknechte heranmarschieren, um den Weg für den Verurteilten und dessen Begleiter frei zu machen. Obwohl die Soldaten die Menschen mit ihren gekreuzten Speeren zurückdrängten, konnten sie die Menge nicht im Zaum halten. Auch Pfalzgraf Ludwig vermochte die Menschen nicht zur Ordnung zu rufen. Als sein Pferd eingekeilt wurde, befahl er Ritter Bodman, dem Anführer der Stadtknechte, die Tore der Stadt zu schließen und die Schaulustigen nur noch in kleinen Gruppen ins Freie zu lassen. Der Verurteilte und die hohen Herren des Gerichts mussten so lange warten, bis die Masse der Zuschauer auf dem Brüel und dem anschließenden Paradies verteilt worden war, bevor auch sie die Stadt verlassen konnten.
Von dem Hurenspalier, mit dem die Kirchenfürsten den abtrünnigen Böhmen verspotten hatten wollen, war nicht mehr viel übrig geblieben. Marie war wie ein großer Teil der Hübschlerinnen von den Bewohnern der Stadt bis in die vordersten Reihen um den Richtplatz geschoben worden, doch ihr wurde erst bewusst, wie exponiert sie dort stand, als Magister Ruppertus Splendidus im Gefolge des Konstanzer Bischofs Friedrich von Zollern dicht an ihr vorbeiging. Zu ihrem Glück hatte er nur Augen für einige andere hohe Herren und schenkte dem gemeinen Volk keinen Blick. Marie starrte ihm nach, bis er mit selbstgefälliger Miene auf einer der Bänke Platz genommen hatte, die für die hohen Konzilsteilnehmer bereit standen, und versuchte dann, sich hinter einem groß gewachsenen Rossknecht zu verbergen.
Ruppert schenkte den Leuten allerdings mehr Aufmerksamkeit, als Marie annahm. Sein Blick streifte einige der Ratsherren und Zunftmeister, die in dem allgemeinen Durcheinander zwischen schwatzende Marktweiber und Tagelöhner in schmutzigen Kitteln geraten waren, und genoss manch neidischen Blick. Jetzt konnten die großsprecherischen Konstanzer sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit Bischof Friedrich und die anderen hohenGäste ihn als ihresgleichen behandelten. Nicht mehr lange, und er würde beim Kaiser aus und ein gehen und vielleicht sogar in den Kreis seiner Berater aufgenommen werden. Man hatte ihm schon zugetragen, dass etliche Bischöfe und Grafen ihn, den jüngeren Sohn Heinrichs von Keilburg, als höflichen und angenehmen Edelmann schätzten, der sich wohltuend von seinem ungeschliffenen Rüpel von Bruder unterschied.
Ruppert nahm an, dass auch viele der Nachbarn und die meisten Gegner seines Bruders erleichtert sein würden, wenn er dessen Stelle einnahm. Also würde er den Plan zur Beseitigung seines Bruders bald ausführen können. Mir gelingt alles, dachte er mit einem Anflug von Hochgefühl. Dann erinnerte er sich daran, dass er in einer ihm selbst sehr wichtigen Angelegenheit auf unerwarteten Widerstand gestoßen war, dessen Quelle er bisher nicht ausfindig gemacht hatte. Aller Wahrscheinlichkeit zum
Weitere Kostenlose Bücher