Die Wanderhure
Ruppertus Splendidus und ihm nicht ausdrücken können, fuhr es Michel durch den Kopf, und er hätte ihr die Münze am liebsten vor die Füße geworfen.
Er wusste nicht mehr, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte, hierher zu kommen und Marie zu fragen, ob sie wusste, worauf sie sich mit dieser Heirat einlassen würde. Wahrscheinlich war das Mädchen stolz darauf, die Frau eines bedeutenden Mannes zu werden, und hatte ihn längst vergessen. Er war sicher, dass sie mit diesem Mann nicht glücklich werden würde, aber es lag nicht in seiner Macht, sie vor ihrem Schicksal zu bewahren. Traurig drehte er sich um und verließ grußlos das Haus. Im Hof ließ er Winas Münze fallen, als wäre sie aus glühendem Eisen.
II.
M eister Matthis fühlte sich so rundum zufrieden, dass er am liebsten geschnurrt hätte wie ein alter Kater am Kaminfeuer. Er musterte seine Gäste und nickte stolz. Seine beiden Freunde und Geschäftspartner, der Böttcher Jörg Wölfling und der Leinweber Gero Linner, konnten ihre Blicke kaum von seinem künftigen Eidam wenden. Magister Ruppertus Splendidus war ein vornehmer Herr, der im Gegensatz zu den meisten jungen Männern Anstand und Manieren besaß und wusste, wie man sich älteren und lebenserfahrenen Leuten gegenüber zu benehmen hatte. Auch Mombert Flühi bewunderte Herrn Ruppertus und gab sich kaum Mühe, seinen Neid auf den Erfolg seines Schwagers zu verbergen.
Ruppertus Splendidus war weder hochfahrend noch übermäßig stolz, sondern gab sich trotz seines Standes recht bescheiden. Seine Kleidung war aus gutem Stoff, wies aber keine der Modetorheiten auf, mit denen die jungen Leute heutzutage zu prunken pflegten. Sein Mantel, der neben der Tür an einem Haken hing, war aus fester brauner Wolle und seine graue Jacke schlicht und bequem. Seine waldgrünen Hosen lagen zwar eng an, beleidigten jedoch im Gegensatz zu den schreiend bunten Beinkleidern, diedie jungen Männer aus besseren Familien zu tragen pflegten, nicht das Auge des Betrachters.
Auch sonst war Magister Ruppertus ein Mann nach Meister Matthis’ Herzen. Obwohl er mit vierundzwanzig Jahren für einen Gelehrten noch recht jung war, gehörte er bereits zu den Ratgebern des Konstanzer Bischofs Otto von Hachberg. Meist war er jedoch im Auftrag seines Vaters unterwegs, der zu den einflussreichsten Männern im alten Herzogtum Schwaben gehörte und nur dem Kaiser untertan war. Meister Matthis hatte Heinrich von Keilburg nur einmal von ferne gesehen, konnte aber genau aufzählen, welche Ländereien der Graf neben seiner Stammburg im Schwarzwald an Rhein und Donau sein Eigen nannte.
Der Standesunterschied zwischen Rupperts Vater und ihm selbst bereitete Meister Matthis kein Kopfzerbrechen. Der Magister hatte als Sohn einer Leibeigenen kein Erbteil zu erwarten, denn der Familienbesitz würde in die Hände Konrads, des legitimen Sohnes des Grafen, übergehen, und der eigene Reichtum verlieh Meister Matthis eine angenehme Sicherheit.
Neben seinem Vaterhaus in Konstanz gehörten ihm ein nicht weniger schönes Anwesen drüben in Meersburg sowie einige der besten Weinberge am Nordufer des Sees. Welch guter Tropfen dort wuchs, davon konnte er sich bei jedem Schluck aus seinem Pokal überzeugen. Der Verkauf des eigenen Weins hatte so viel Ertrag abgeworfen, dass er just zu dieser Zeit ein weiteres Haus errichten ließ, und zwar in der Vorstadt Paradies, in der die höchsten Geschlechter ihre Sommersitze besaßen.
Meister Matthis war jedoch weniger durch den Wein als durch den Fernhandel reich geworden, und er zeigte es auch. So hatte er die Wohnräume seines Hauses mit dunklem Holz täfeln und die Decken bunt bemalen lassen, wie es in den Häusern der führenden Familien üblich war. Für sein Lieblingszimmer, in das er seine Freunde einzuladen pflegte, hatte er einen großen Tisch mit gedrechselten Beinen und einer Platte mit kunstvollen Intarsienarbeitenaus Italien importiert. Nun standen silberne Teller und kunstvoll getriebene Becher darauf, dazu gläserne Pokale in reicher Zahl, damit seine Gäste nicht darben mussten. Vor den Fenstern hingen bestickte Brokatvorhänge, die passend zu den gewölbten, gelblich gefärbten Butzenscheiben ausgewählt worden waren und auch zur Gasse hin kundtaten, dass ihr Besitzer nicht zu den armen Leuten zählte.
Der Magister betrachtete die hoch gewachsene, wuchtige Gestalt seines zukünftigen Schwiegervaters mit einem schwer zu deutenden Lächeln. Das dunkelgrüne Samtwams des Kaufherrn spannte
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