Die Wanderhure
zu spät. Wenigstens glaubte er das Rätsel gelöst zu haben, weshalb der anerkannte Nachkomme eines der mächtigsten Adelsgeschlechter um ein Mädchen warb, dessen Großvater als flüchtiger Leibeigener in die Stadt gekommen war und es erst spät durch harte Arbeit und eine günstige Heirat zu Wohlstand gebracht hatte.
Auch Gero, der Leinweber, hatte sich gefragt, wie es Meister Matthis gelungen war, so einen hohen Herrn für seine Tochter zu gewinnen. Jetzt wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass der Überlandhandel sich lohnte, allen Klagen über Räuber, Zölle und Unwetter, die die Geschäfte schädigten, zum Trotz. So reichwie Matthis Schärer waren er und Meister Jörg nicht einmal zusammen, obwohl sie aus alteingesessenen Handwerkerfamilien stammten und turnusgemäß dem Rat der Stadt angehörten.
Meister Matthis beobachtete seine alten Freunde beim Lesen und nahm mit innerer Befriedigung wahr, dass ihre Mienen vor Überraschung starr wurden. Die beiden Handwerksmeister waren oft bei ihm zu Gast gewesen und hatten seinen Wein und die Kochkünste seiner Haushälterin in reichlichem Maße genossen. Das hatte sie jedoch nicht daran gehindert, ihn von Zeit zu Zeit spüren zu lassen, dass er ihnen nicht ebenbürtig war und sie sich zu ihm herabließen. Damit rissen sie immer wieder die Wunde auf, die er von Jugend an mit sich trug.
Die Angehörigen angesehener Familien hatten seinen Vater Richard und ihn nie als gleichberechtigt angesehen, sondern sie trotz ihres wachsenden Vermögens und des teuer erkauften Bürgerrechts wie davongelaufene Knechte behandelt, die in der Stadt nur geduldet wurden. Richard Schärer war es gelungen, sich gegen alle Widerstände ein Vermögen zu erwerben, und Matthis hatte es beinahe verzehnfacht. Unbändiger Stolz wallte in ihm hoch, und er hätte den anderen am liebsten ins Gesicht geschrien, dass er mehr wert war als diejenigen, die seine Rechte als Bürger beschnitten. Heute hatte er sie endlich alle übertroffen. Selbst die Pfefferharts und Muntprats, und wie die alten Konstanzer Patriziergeschlechter alle hießen, würden ihn um einen Schwiegersohn wie Magister Ruppertus beneiden.
Matthis Schärer erinnerte sich kurz daran, wie der edle Herr zu ihm gekommen war und um die Hand seiner Tochter gebeten hatte. Zunächst hatte er es nicht glauben wollen und für einen schlechten Scherz gehalten. Magister Ruppertus hatte ihn jedoch mit artigen Worten an seinen eigenen Reichtum erinnert und auch daran, dass es weit über Konstanz hinaus keinen Mann gab, der seiner Tochter eine ähnliche Mitgift versprechen konnte wie er.
Darauf wollen wir trinken, dachte Matthis Schärer. Er ließ sich nachschenken und hob seinen Becher. »Trinkt, Freunde! Einen so schönen Tag wie heute erleben wir vielleicht nie wieder.«
Der Leinweber lächelte säuerlich. »Der morgige Tag wird sicher genauso schön, wenn du den ehrenwerten Magister zum Brautbett deiner Tochter führst.«
Mombert Flühi hatte den Vertrag gerade als letzter Zeuge unterschrieben und sah seinen Schwager nun leicht vorwurfsvoll an. »Wo steckt denn Marie? Wir haben sie den ganzen Abend noch nicht gesehen. Dabei sollte sie doch hier sein und ihrem Liebsten vorlegen.«
Matthis schüttelte nachsichtig den Kopf über das Ansinnen seines um einen Kopf kleineren, aber ebenso wohlbeleibten Schwagers, dessen rundes, ehrliches Gesicht ebenfalls schon die Spuren reichlich genossenen Weines zeigte. »Marie arbeitet in der Küche, wie es sich für eine gute Hausfrau gehört. Schließlich feiern wir morgen Hochzeit. Da muss alles bestens vorbereitet sein, nicht wahr, Schwiegersohn?«
Ruppert neigte zustimmend das Haupt. Jörg, der Böttcher, sah ihn fragend an, traute sich aber nicht, ihn direkt anzusprechen. So ruckte er ein wenig mit seinem Stuhl hin und her und klopfte auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit des jungen Herrn auf sich zu ziehen. Als Ruppert ihn anblickte, räusperte er sich umständlich.
»Verzeiht mir eine Frage, Magister Ruppertus. Mich würde interessieren, warum Euer Vater Euch nicht in ritterlichen Künsten ausbilden ließ, wie es in adligen Kreisen üblich ist, sondern einen Mann der Bücher aus Euch gemacht hat.« Meister Jörg kicherte bei seinen Worten, denn obwohl er lesen und schreiben konnte, hielt er das Studieren für vertane Zeit.
Rupperts schmale Lippen bogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. »Ich war als Kind sehr schmächtig und nicht für die Ausbildung zum Krieger geeignet. Daher hat mein Vater es für
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