Die Wedding-Planerin
erst mal nichts anderes übrig, als sie in den Arm zu nehmen
und ihr hin und wieder ein frisches Taschentuch zu reichen. Als sie endlich |34| in der Lage war zu sprechen, erzählte sie, was vorgefallen war: Ihr Vater war am Morgen aus Frankreich zurückgekehrt, von
wo er den Wein für die Feier mitbrachte. Er hatte ihn sicher im Keller verstaut, und sie und Michael wollten kurz vor Beginn
des Polterabends nochmal kurz nachsehen, was genau er gekauft hatte. Also waren sie zusammen in den Keller gegangen, und
ihr Vater hatte stolz seine Einkäufe präsentiert: vier Sorten Rot-, zwei Rosé- und fünf Sorten Weißwein. Sein Kommentar:
«Ich konnte mich kaum entscheiden, sie waren alle sehr gut.»
Insgesamt hatte er zwar genügend Wein für eine Kompanie mitgebracht, allerdings kaum so viele Flaschen von einer Sorte,
dass auch nur ein Gast damit rechnen konnte, zwei Gläser vom selben Wein zu erhalten. Für Andrea war dies zu viel des Guten
– ihr Vater hatte sich nicht an die Absprache gehalten, sie sah den Trinkgenuss auf ihrer Hochzeit gefährdet, die ersten
Gäste standen vor der Tür, ihr Vater war beleidigt, weil sein Werk nicht gewürdigt wurde, und Michael sauer, dass sein
künftiger Schwiegervater den Seelenfrieden seiner ohnehin aufgeregten Zukünftigen leichtfertig aufs Spiel setzte. Schließlich
einigte man sich darauf, am kommenden Tag aus dem Großhandel einfach die gewünschten zwei Sorten in ausreichender Menge zu
besorgen, und der Polterabend konnte starten. Heute, einige Jahre später, lachen alle Beteiligten über die Episode.
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|35| Donnerstag, 19. September
Stimmung: aufgeräumt
Sound: «Friends will be friends» von Queen
Thema des Tages: Weniger ist mehr
Mein Schreibtisch quillt über vor Papieren, und so nutze ich meinen Feierabend, um Ordnung zu schaffen. Ich sortiere Telefonrechnungen,
Briefe und Steuerunterlagen nach Themen geordnet auf Stapel am Boden. Nachdem alles weggeheftet ist, bleibt ein stattlicher
Haufen liegen. Das sind die Hochzeitseinladungen und -danksagungen dieses Jahres. Ich zähle durch: Andreas und ich waren auf
sechs Feiern. Im Vergleich zu manchen Freunden, die zehn und mehr Hochzeiten gefeiert haben, ist das noch eine relativ geringe
Anzahl. Mich erschreckt diese Masse an Hochzeiten. Mit Ende zwanzig bis Mitte dreißig und einem mittelgroßen Freundeskreis
kommt man locker auf drei bis sieben Hochzeiten pro Saison, also irgendwann zwischen Mai und September. Sechs Hochzeiten
zu feiern bedeutet nicht nur, sechs Wochenenden für das Hauptevent zu blocken. Es bedeutet: Sechsmal Junggesellinnenabschied,
sechsmal Polterabend zu feiern, sechsmal standesamtliche und meist auch kirchliche Trauung zu absolvieren – selbst bei durchschnittlich
nur zwei Terminen pro Hochzeit gehen somit zwölf Wochenenden oder volle drei Monate nur für Hochzeiten drauf.
Das führt zu skurrilen Szenen. Zu Beginn des Jahres überschlage ich grob, mit wie vielen Feiern zu rechnen ist, plane den
eigenen Urlaub rundherum und hake im Laufe des Jahres die einzelnen Feiern ab. Jede Einladung bedeutet ein weiteres Wochenende
zwischen Autobahn, Hotel, Schwiegereltern und Hochzeitstorte. Gespräche wie: «Seid ihr am ersten Juli-Wochenende bei Melanie |36| und Jan dabei?» «Nein, wir müssen zu Alexandra und Daniel – das überschneidet sich leider – die Einladung war einfach zwei
Tage früher im Briefkasten» will ich nicht führen müssen. Ebenso wenig mag ich die sich daraus ergebenden Vergleiche: «Bei
Pia und Lars gab es Scampi, die Fischplatte heute ist eher mäßig.» «Markus und Sabrina hatten einen ganz tollen Elvis-Imitator
– dagegen kommt der Cellist hier nicht an.»
Daneben beschleicht mich mit jeder weiteren Feier das Gefühl, das eigene Leben im Standby-Modus zu führen. Es passiert nichts
anderes mehr (mal abgesehen von den Paaren, die nebenbei noch eine Familie gründen). Alle Gespräche drehen sich nur noch
ums Heiraten. Neben dem Job nimmt das Thema einen so großen Teil der Zeit ein, dass für Erlebnisse fern des Traualtars kaum
Zeit bleibt. Ich war in den letzten fünf Jahren weder im Sommerurlaub noch ein Wochenende am Badesee. Ich hatte keine Zeit,
einfach mal am Elbstrand zu sitzen und zu grillen, ein Großteil meines Urlaubsanspruchs geht für Vorbereitungen und Anreise
drauf. Natürlich machen die Feiern Spaß, aber die Ballung der Ereignisse in einem gewissen Lebensalter frisst einfach
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