Die Wedding-Planerin
innig war, dass mir die Tränen gekommen sind und ich an mich halten musste,
nicht bereits vor der Trauung mein Make-up zu ruinieren. Zumal wir in der Funktion der Brautführer zur Aufgabe hatten, das
Paar beim Einzug in die Kirche zu begleiten – nach dem Pfarrer folgt das Paar samt seiner Brautführer. Zweimal habe ich dieses
Amt mit meinem langjährigen Freund Micha betraut. Zweimal sind wir Freunden von uns in die Kirche gefolgt. Und jedes Mal musste
auch er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir seinen Arm reichen, dem ich jedes Mal eine Reihe blauer Flecken
verpasst habe, weil ich mich so stark festhalten musste.
Dieser zauberhafte Moment ist mir – und es tut mir leid, dies allen Atheisten sagen zu müssen – bisher nur bei kirchlichen
Trauungen begegnet. Selbst wenn es sich um eine wirklich schöne standesamtliche Trauung handelte, ist dieser Zauber so nicht
aufgekommen.
Nicht einmal Lena weiß von der Bedeutung, die «der Moment» für mich hat, und ich werde den Teufel tun und ihr davon erzählen.
Er soll passieren können und sich nicht an Erwartungen messen müssen. Dennoch hoffe ich sehr, dass er Lena und Karl geschehen
wird und ich Zeugin des Ganzen sein darf.
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|40| Freitag, 4.Oktober
Stimmung: gespannt wie ein Flitzebogen
Sound: «Don’t panic» von Coldplay
Thema des Tages: Man kann nicht nicht kommunizieren
Teller, Messer, Gabeln, Gläser, Servietten – was fehlt noch? Ach ja, der Wein. Ich entkorke einen Grauen Burgunder und
rücke die Teller noch einmal zurecht. Das Risotto ist fast fertig, die Mousse zum Dessert steht bereits kalt, und ich bin
umgezogen. Nein, heute gibt es nicht das «Perfekte Dinner» in meinem Wohnzimmer. Aber es ist ein besonderer Abend. Lena und
Karl haben ihren Eltern gestern die frohe Kunde überbracht und kommen gleich zum Essen vorbei. Ich bin sehr gespannt, wie
die beiden Familien reagiert haben. Vor allem heißt das, dass mein monatelanges Schweigen ein Ende haben wird – endlich darf
auch ich es der Welt verkünden: Meine beste Freundin heiratet!
Aber erst mal verspätet die alte Else sich mal wieder, und mir wird das Essen pampig – ebenso wie meine Laune. Andreas neben
mir knurrt der Magen, und seine Stimmung ist entsprechend. Zehn Minuten später ist die Welt aber wieder in Ordnung – wir
sitzen bei der Vorspeise um den Tisch und plaudern. Beim Hauptgericht halte ich es nicht mehr aus: «Und? Wie haben sie reagiert?»
Die beiden kauen weiter und sehen sich an. «Na ja … normal halt», antwortet Karl.
Ich hätte mir zwar denken können, dass er kein Drama daraus macht, aber etwas mehr Information hätte ich mir schon gewünscht.
Immerhin muss ich die kommenden Monate mit den Familien zusammenarbeiten, um eine tolle Feier auf die Beine zu stellen. Lena
zögert noch mit ihrer Antwort – kein gutes Zeichen. |41| «Na ja, sie haben sich alle total gefreut», erzählt sie dann immerhin nach ein paar Minuten. Ich ahne das «Aber». Lenas
Eltern sind zwar sehr tolerant ihren Kindern gegenüber, allerdings wird ihre Mutter wahrscheinlich gern mitgestalten wollen.
Sicher musste Lena sich bereits mit Details auseinandersetzen, deren Diskussion zu diesem Zeitpunkt mehr als unnötig ist.
«Sie möchten gern, dass wir zu Hause heiraten», berichtet Lena schließlich. Ich hole tief Luft.
«Zu Hause» heißt in dem Fall nicht in unserer Wahlheimat, in der Lena, Karl und ich seit knapp zehn Jahren leben und arbeiten,
sondern heißt Heimat – das Zuhause, in dem wir aufgewachsen sind und die ersten 20 Jahre unseres Lebens verbracht haben. Ein idyllisches Dörfchen in Niedersachsen, dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht
sagen, wo es mehr Milchkühe als Einwohner gibt und wo jeder von jedem weiß, was er tut, getan hat und tun wird, wo die
Landschaft wie einer Frischkäse-Werbung entsprungen wirkt und wo man noch das Dachgeschoss der Eltern ausbaut, mit Anfang
20 heiratet, anschließend Kinder bekommt, wo die Frauen Versicherungsfachangestellte sind und ihren praktischen Job auf
50 Prozent reduzieren können, um die Kleinen zu betreuen.
Für mich gab es viele Gründe, vor Jahren meine Koffer zu packen: Ich mag die Anonymität der Großstadt, in der man sich seine
Freunde aussuchen kann und nicht danach beurteilt wird, ob man den Rasen samstags oder donnerstags mäht, wo es keine Rolle
spielt, wer gerade mit wem was macht, und wo es keine Schützen-,
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