Die Weimarer Republik
vorgezogen. Das galt besonders für die Notverordnung «zum Schutz von Volk und Staat», die praktisch alle Grundrechte außer Kraft setzte und dem Reich «zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung» in den Ländern die Polizeibefugnisse übertrug. Die Verordnung war die «Verfassungsurkunde» des Dritten Reiches, indem sie unbegrenzte quasilegale Möglichkeiten eröffnete. Das berüchtigte Ermächtigungsgesetz vom 23. März war kaum mehr als die nachträgliche, verfassungsformale Legitimation, die durch Einschüchterung (vor allem gegenüber der SPD), Manipulation der Geschäftsordnung (im Hinblick auf dieMandate der KPD) und Bestechung (durch das Reichskonkordat gegenüber dem Zentrum) vom Reichstag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde. Die Regierung beschloss nun die Gesetze, die von der Verfassung abweichen durften. Der Reichskanzler konnte die Gesetze anstelle des Reichspräsidenten ausfertigen, der damit ein erhebliches Stück entmachtet wurde. Die Einschränkung, dass das Gesetz auf vier Jahre begrenzt und an die Existenz der gegenwärtigen Regierung gebunden wurde, war der reine Hohn. Denn die Regierung konnte dieses Gesetz selbst verlängern, was sie dreimal tat. Hitler hatte sein Ziel erreicht, die «legale» Machtergreifung. Die nationale Aufbruchstimmung sah darüber hinweg, dass schon beim Zustandekommen des Gesetzes mit den Grundsätzen von Recht und Gesetz gebrochen wurde. Aber das waren nicht mehr die Maßstäbe dieser Tage.
Die Gleichschaltung der Länder war verfassungs- wie machtpolitisch ein weiterer Schritt zur Konzentration der Macht. Preußen war seit dem Juli 1932 faktisch gleichgeschaltet, und in sieben kleineren Staaten war die NSDAP schon vor 1933 an der Regierung beteiligt gewesen. Neben den norddeutschen Stadtstaaten und Hessen waren die süddeutschen Staaten und Sachsen noch nicht erobert. Dort hatte die NSDAP bis dahin eine relativ schwache Stellung gehabt, aber in den März-Wahlen deutliche Zuwächse verzeichnet. Nachdem man Druck auf der Straße und in den Behörden «als Ausdruck des Volkszorns» organisiert hatte, erhielt Frick den Vorwand, auf der Grundlage der Reichstagsbrand-Notverordnung Reichskommissare in den Polizeibehörden einzusetzen. Die Länderregierungen sahen sich am 8./9. März zum Rücktritt gezwungen, als letzte die bayerische, deren Appell an den Reichspräsidenten ungehört verhallte. Nachdem die Entscheidungen auf «revolutionärem» Weg gefallen und durch Notverordnung scheinlegal legitimiert waren, folgten am 31. März und am 7. April die Nachregelungen durch zwei Gleichschaltungsgesetze: Mit dem ersten wurden die Mehrheitsverhältnisse des Reichstags auf die Länderparlamente übertragen; da die Stimmen der KPD nicht berücksichtigt werden durften, hatte die NSDAP überall die Mehrheit. Mit demzweiten wurden Reichsstatthalter eingesetzt, die die Zentralisierung der Willensbildung gewährleisten sollten. Eine Ausnahme blieb Preußen, da Papen dort Reichskommissar war. Hier übernahm Hitler selbst die Reichsstatthalterschaft, um nach dem Vorbild Bismarcks die Einheit von Preußen und Reich wiederherzustellen – in Wirklichkeit, um Göring als kommissarischem Innenminister freie Bahn zu schaffen. Damit war der Hauptzweck erreicht: die Kontrolle über die Polizei (die anfangs nur über die Reichstagsbrand-Notverordnung hergestellt worden war), die Zerstörung potenzieller Machtbastionen der Nationalkonservativen (Preußen) und des politischen Katholizismus (Bayern), die Übertragung der regionalen Regierungsgewalt auf die NSDAP (Reichsstatthalter). Letzteres vollzog bereits die Einheit von Partei und Staat, die durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches (30. Januar 1934) und die Aufhebung des Reichsrates (14. Februar 1934) formal vollendet wurde. Damit war die Überwindung des politischen Systems der Republik fast abgeschlossen – auch ohne die Verfassung formal außer Kraft zu setzen. Jedoch bestand mit der Institution des Reichspräsidenten ein Rest verfassungsrechtlicher Kontinuität; und die Reichswehr war der wichtigste noch nicht gleichgeschaltete Machtfaktor.
Die terroristischen Maßnahmen der Regierung gegen ihre eigenen Parteien und Verbände hatten im bürgerlichen Lager ebenso zu Ernüchterung geführt wie der Judenboykott vom 1. April, die Ausschaltung von Demokraten und Juden durch das «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom 7. April, die Bücherverbrennung am
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