Die Weisheit des Feuers
die Dinge am Boden nicht länger real wirkten. Das Lager der Varden war ein unregelmäßig geformtes Spielbrett, überzogen von winzigen grauen und schwarzen Rechtecken. Der Fluss war ein silbriges Band, besetzt mit grünen Quasten. Im Süden bildeten die schwefeligen Wolken, die von den Brennenden Steppen aufstiegen, eine glühend orangefarbene Bergkette mit schattenhaften Ungeheuern, die ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie auftauchten. Rasch wandte Eragon den Blick ab.
Die beiden ließen sich ungefähr eine halbe Stunde lang vom Wind treiben und genossen schweigend ihr Beisammensein. Ein kurzer Zauber schützte Eragon vor der Kälte. Endlich waren sie wieder einmal allein, so wie damals im Palancar-Tal, bevor das Imperium in ihr Leben eingebrochen war.
Saphira brach schließlich das Schweigen.
Wir sind die Herrscher des Himmels.
Hier am oberen Ende der Welt
. Eragon streckte den Arm nach oben, als könnte er die Sterne streifen.
Mit einem Abwärtsschlenker tauchte Saphira in einen wärmeren Luftstrom ein, dann stieg sie wieder auf.
Morgen wirst du Roran und Katrina vermählen.
Eine seltsame Vorstellung. Dass Roran heiratet und ich derjenige sein soll, der sie traut. Roran als verheirateter Mann
...
Da fühl ich mich gleich viel älter. Eben waren wir noch kleine Jungen. Aber offenbar können selbst wir dem Lauf der Zeit nicht entrinnen. So folgt eine Generation auf die andere, und bald sind wir an der Reihe, unsere Kinder ins Land hinauszuschicken, um zu tun, was getan werden muss.
Aber nur wenn wir die nächsten paar Monate überleben.
Allerdings.
Saphira schlingerte, von einem Luftwirbel erfasst. Dann sah sie sich nach ihm um und fragte:
Fertig?
Los!
Sie neigte sich nach vorn, legte die Flügel eng an den Körper und stieß pfeilschnell hinab. Lachend schwelgte Eragon im Gefühl der Schwerelosigkeit. Er drückte die Beine in Saphiras Flanken, um den Halt nicht zu verlieren, dann streckte er in einem Anfall von Verwegenheit die Arme in die Luft. Das Land unter ihnen drehte sich wie ein Rad, als Saphira durch die Luft kreiselte. Dann wurde sie langsamer, hörte auf zu kreiseln und machte eine Rolle nach rechts, bis sie auf dem Kopf stand.
»Saphira!«, schrie Eragon und trommelte auf ihren Schultern herum.
Während eine Rauchfahne aus ihren Nüstern stob, drehte sie sich wieder auf den Bauch und stürzte auf das Gelände unter ihnen zu, das jetzt immer näher kam. Eragons Ohren gingen zu und er bewegte den Kiefer, als der Druck noch weiter zunahm. Knapp tausend Fuß über der Erde und kurz davor, in die Zelte zu krachen und das Varden-Lager in einen einzigen blutigen Krater zu verwandeln, ließ sich Saphira den Wind unter die Flügel fahren. Der Ruck war so heftig, dass der Zacken, an dem Eragon sich festhielt, ihm fast ins Auge gestochen hätte.
Noch drei kräftige Flügelschläge und sie standen kurz in der Luft, bevor Saphira in einen sanften Gleitflug überging.
Das hat Spaß gemacht!,
rief Eragon.
Es gibt nichts Aufregenderes als das Fliegen, denn wenn du dich verschätzt, bist du tot.
Ach, ich hab vollstes Vertrauen in deine Flugkünste. Du würdest uns nie in den Boden rammen.
Sie strahlte vor Freude über das Kompliment.
Als sie Kurs auf sein Zelt nahm, schüttelte sie den Kopf, wobei sie ihm einen leichten Rempler versetzte, und sagte:
Ich sollte mich ja langsam daran gewöhnt haben, aber jedes Mal wenn ich so einen Sturzflug abfange, habe ich am nächsten Tag einen solchen Muskelkater, dass ich mich kaum rühren kann.
Er tätschelte sie.
Na, morgen musst du ja nicht fliegen. Die Hochzeit ist unsere einzige Verpflichtung, da kannst du zu Fuß hingehen.
Sie brummte zustimmend und landete mitten in einer Staubwolke, wobei sie mit dem Schwanz ein leeres Zelt umriss.
Eragon stieg ab und überließ sie ihrer Körperpflege. Während sechs Elfen in ihrer Nähe blieben, trottete er selbst mit den anderen sechs durchs Lager, bis er die Heilerin Gertrude gefunden hatte. Von ihr ließ er sich das Trauungszeremoniell beibringen, das er am nächsten Tag brauchen würde, und übte noch eine Weile mit ihr, damit ihm im entscheidenden Moment kein peinlicher Schnitzer unterlief.
Dann kehrte er zu seinem Zelt zurück, wusch sich das Gesicht und zog sich um, ehe er mit Saphira, wie versprochen, zum Abendessen mit König Orrin und seinem Gefolge ging.
Spät in der Nacht, als das Festmahl vorüber war, schlenderten die beiden zu seinem Zelt, betrachteten den Sternenhimmel und
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