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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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auf. Ein Herzbube stellte sich auf den Stuhl, spuckte ihm auf den Schnurrbart und schoß aus nächster Nähe. Wassilissa fuhr, in kalten Schweiß gebadet, mit einem Schrei hoch, und das erste, was er hörte, war eine Maus, die sich samt Familie im Eßzimmer mit einer Zwiebacktüte abmühte, dann vernahm er überaus zärtlichen Gitarrenklang und Lachen durch die Decke und die Teppiche.
    Oben sang eine mächtige und leidenschaftliche Stimme, und die Gitarre spielte einen Marsch.
    »Das einzige Mittel – ihnen die Wohnung kündigen.« Wassilissa zappelte in den Laken. »Unerhört! Weder bei Tag noch bei Nacht hat man Ruhe.«
    Singend marschieren
die Junker einher …
    »Obwohl, im Falle eines Falles … Stimmt schon, wir leben in einer schlimmen Zeit. Wen ich kriege, weiß keiner, und die hier sind immerhin Offiziere, und kommt was, hat man Schutz … Husch!« schrie Wassilissa die emsige Maus an.
    Gitarrenklang … Gitarrenklang … Gitarrenklang …

    Im Kronleuchter des Eßzimmers brennen vier Lampen. Blaue Rauchhechte. Die Glasveranda mit den cremefarbenen Vorhängen dicht verhängt. Die Uhr nicht zu hören. Auf schneeweißem Tischtuch frische Sträuße Treibhausrosen, drei Flaschen Wodka und schlanke, deutsche Weißweinflaschen, geschliffene Gläser, Äpfel in funkelnden hohen Kristallschalen, Zitronenscheiben, Krümel, Krümel, Tee …
    Auf dem Sessel ein zerknülltes Blatt der humoristischen Zeitung »Teufelspuppe«. Durch die Köpfe streichen Nebelschwaden, ziehen bald hin zur goldenen Insel unbegründeter Fröhlichkeit, bald hinein in die trübe Woge der Unruhe. Aus dem Nebel tauchen lose Worte:
    Mit nacktem Hintern soll man sich nicht
auf einen Igel setzen!
    »Ein lustiges Blättchen … Die Kanonen sind verstummt. Geistreich, hol mich der Teufel! Wodka, Wodka und Nebel. Tram-ta-ta-tam! Gitarre.«
    Melonen nicht auf Seife backen!
Die Amis sitzen uns im Nacken.
    Irgendwo hinter dem Rauchvorhang lacht Myschlajewski. Er ist betrunken.
    Des Breitmanns Witze sind trivial.
Wo bleiben die Truppen vom Senegal?
    »Wo sind sie? Im Ernst, wo bleiben sie?« fragt der betrunkene Myschlajewski hartnäckig.
    Die Schafe lammen gern im Walde,
Rodsjanko wird Präsident sehr balde.
    »Sie sind begabt, die Schurken, das muß man ihnen lassen!«
    Jelena, der man nach Talbergs Abreise keine Zeit ließ, zur Besinnung zu kommen … vom Weißwein vergehen Kopfschmerzen nicht, werden nur dumpfer … Jelena saß in ihrem Sessel an der Schmalseite des Tisches. Ihr gegenüber Myschlajewski: flauschig, weiß, im Bademantel, das Gesicht rotfleckig vom Wodka und von grenzenloser Müdigkeit. Die Augen rot umrandet – Kälte, überstandene Angst, Wodka, Erbitterung. An einer Längsseite des Tisches Alexej und Nikolka, an der anderen Leonid Jurjewitsch Scherwinski, Leutnant des ehemaligen Ulanenregiments der Leibgarde und zur Zeit Adjutant im Stab des Fürsten Belorukow, und neben ihm Unterleutnant Fjodor Nikolajewitsch Stepanow, ein Artillerist, der vom Alexander-Gymnasium her den Spitznamen Karausche trug.
    Der kleine, gewandte und einer Karausche wirklich sehr ähnliche Stepanow war zwanzig Minuten nach Talbergs Abreise direkt vor Turbins Haustür mit Scherwinski zusammengetroffen. Beide hatten Flaschen bei sich, Scherwinski ein Paket mit vier Flaschen Weißwein, Karausche zwei Flaschen Wodka. Außerdem trug Scherwinski einen riesengroßen, in drei Schichten Papier verpackten Strauß Rosen, für Jelena Wassiljewna selbstverständlich. Schon vor der Haustür teilte Karausche eine Neuigkeit mit: Auf seinen Schulterstücken glänzten goldene Kanonen – er habe es nicht mehr ausgehalten, alle müßten kämpfen gehen, denn mit dem Unterricht an der Universität sei ohnehin nichts los, und wenn Petljura die Stadt einnehme, werde noch weniger los sein. Alle müßten gehen, und die Artilleristen gehörten in die Mörserdivision. Deren Kommandeur sei Oberst Malyschew, die Division sei prächtig, heiße auch Studentendivision. Er, Karausche, sei verzweifelt, daß Myschlajewski sich zu dem blödsinnigen Bataillon gemeldet habe. Einfach dumm sei das. Habe sich als Held zeigen wollen und übereilt gehandelt. Wo er jetzt sei, wisse der Teufel! Vielleicht sei er schon vor der STADT gefallen.
    Myschlajewski aber war hier, war oben! Die goldhaarige Jelena puderte im dämmrigen Schlafzimmer vor dem von Silberblättern umrahmten ovalen Spiegel eilig ihr Gesicht und kam heraus, um die Rosen entgegenzunehmen. Hurra! Alle waren hier! Karausches goldene

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