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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Ladekante fest und preßte die Füße gegen das Fahrerhaus. Vorsichtig hob ich den Kopf und stellte fest, daß Mila vergeblich versuchte, mit Abiolas Benz hinterherzukommen. Die Strecke kam mir schon bald vertraut vor.
    Ich schätze, ich bin die einzige deutsche Managerin, die je auf diese Weise zum Flughafen von Lagos gebracht worden ist.
    Schon auf dem Weg nach Ikoyi hatte Mila bemerkt, daß der Wüstensturm Harmattan den weißen Sand aus der Sahara herantrug. Jetzt wirbelte der warme Wind auch den überall in der Stadt gegenwärtigen roten Sand auf. Ich hatte Sand in den Augen, in der Nase, im Mund, spuckte und bekam kaum noch Luft. Trotz der schlechten Sicht raste Sunny wie ein Verrückter. Pausenlos hupte er. Plötzlich hörte ich einen dumpfen Schlag, als ob ein schwerer Gegenstand den Pick-up vorn getroffen hätte. Der Wagen bremste so hart, daß die Kraft in meinen Beinen nicht ausreichte; wie eine Puppe wurde ich nach vorn gegen das Fahrerhaus geschleudert.
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich noch immer auf der Ladefläche.
    Um mich herum tobte ein Orkan aus Sand, Sturm - und menschlichen Stimmen. Alles schrie durcheinander. Benommen hob ich den Kopf und spähte über die Ladekante. Durch den Nebel aus feinem Sand erkannte ich schemenhaft Menschen, die sich in einer dichten Traube um den Pick-up versammelt hatten. Mittendrin der kleine Sunny mit seinem Leopardenstock, sein Leibwächter und Akpoviroro, die mit ihren Gewehren in der Luft herumfuchtelten.
    Irgendein Mann griff Sunny an und schrie mit vor Wut verzerrter Stimme. Plötzlich fiel ein Schuß, dann noch einer. Frauen kreischten hysterisch auf, die Menge stob auseinander. Jetzt sah ich, was geschehen war: Am Boden lagen die Körper zweier Männer. Akpoviroro kniete auf dem Asphalt und schrie immer wieder auf englisch:
    „Gott, was habe ich getan! Verzeih mir, Vater, verzeih!“
    Seine Stimme klang schrill und verzweifelt. Langsam kamen die Menschen zurück. Ich kletterte ungeschickt vom Pick-up und schob mich durch die Menge.
    Einer der beiden Toten war Sunny. Eine Gewehrkugel hatte ihn am Hinterkopf getroffen, sein Blut bildete in dem roten Sand, der auf der Straße lag, eine dunkle Lache.
    „Du hast gut gewählt, sister. Eine Gewehrkugel wird ihn treffen.
    Sein Blut wird den Boden rot färben.“ Ich hatte das Gefühl, Mila stünde hinter mir. Aber da waren nur Fremde, die sich mit Tüchern vor den Gesichtern gegen den Sand schützten.
    Akpoviroro hob den Kopf. Sein Gesicht vonTränen, Staub, Dreck und rasender Wut zur Maske eines Irren verzerrt, drehte sich in meine Richtung. „Sie ist eine Hexe! Sie hat das getan. Sie hat mich dazu gebracht, meinen Vater zu erschießen!“
    Dann stand er auf, lud das Gewehr, hob es und legte an. „Stirb, weiße Hexe!“
    Ganz ruhig sagte ich: „Die Kugel, die du abfeuerst, wird dich selbst töten, Sohn deines Vaters.“ Es war, als hätte eine andere Person aus mir gesprochen.
    Akpoviroro ließ sein Gewehr sinken. Ich öffnete die Beifahrertür des Pick-up. „Befiehl deinem Bodyguard, mich zum Flughafen zu bringen.“ -.
    Akpoviroro gab seinem verdutzten Leibwächter ein stummes Handzeichen, und der Mann schwang sich folgsam hinters Lenkrad.
    Als der Wagen anfuhr, traten die Menschen schweigend zur Seite.
    Im Rückspiegel sah ich Akpoviroro, der mir nachstarrte. Dann schloß sich die Menge wieder um ihn.
    Nach kurzer Fahrt erreichte der Wagen tatsächlich den Airport. Der Leibwächter sprang gehetzt aus dem Wagen und riß meine Tür auf:
    „Verpiß dich, weiße Hexe. Und komm nie zurück! Oder du wirst zu spüren bekommen, was Nigeria für dich bedeutet!“ brüllte er.
    Ich hatte nur noch zwanzig Minuten bis zum Abflug. Barfuß und verdreckt, rannte ich in die Halle, schon beinahe ohne Hoffnung, daß ich noch rechtzeitig kommen würde. Zum letzten Mal war das Glück in Nigeria auf meiner Seite: Der Harmattan hatte alle Flugpläne über den Haufen geworfen. Nichts ging mehr. Hunderte Reisende, die sich alle auf weiße Weihnachten in Europa freuten, standen vor den Schaltern Schlange. Irgendwo in dem Gewühl fand ich Abiola, der ganz vorn am Counter lehnte.
    Er mußte zweimal hinsehen, bis er mich in der
    heruntergekommenen, mit Sand bedeckten Bettlerin erkannte. Ich legte meinen Paß vor, der mich beinahe das Leben gekostet hätte.
    Eine energische Stimme ließ mich aufhorchen. „Geh mal weg,
    sister, ich muß da vorn zu einer Freundin.“
    Mila! Wo kam die her? Sie war wie ich voller Sand. Als sie vor mir

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