Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Gesprächspartner und Informanten beim Namen nennen. Aber die Karrieren der Herren könnten dadurch Schaden nehmen. Und das ist nicht mein Ziel. Im Zweifelsfall gehören sie ja sogar noch zu den Guten in ihrer Zunft, denn sie haben mir ehrliche Einblicke in die Verhältnisse in ihrem »Revier« gegeben. An beide Orthopäden stelle ich per Mail die Anfrage, wo denn die Leitlinie zur Behandlung der Gonarthrose geblieben sei.
Professor Robert E., der zwei Jahre zuvor noch mit Abscheu virtuelle Geldscheine gezählt hatte, mailt mir nach wenigen Tagen, das sei nicht sein Fachgebiet. Dazu könne er nichts sagen. Von Orthopäde X höre ich wochenlang nichts. Doch dann, als ich schon beschlossen hatte, die nächsten Tage mal »nachzuhaken«, ruft er mich an. Es war schon Abend. Ich war zu Fuß auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause, als mein Smartphone klingelte. Und dann führte ich eines der erstaunlichsten Telefonate meines Lebens.
Ein bizarres Telefonat mit einem Orthopäden
»Frank Wittig.«
»Hallo, hier ist Orthopäde X von der Klinik Y. Erinnern Sie sich: Sie haben mir eine E-Mail geschickt und nach der Leitlinie zur Gonarthrose gefragt.«
»Ja, ich erinnere mich. Schön, dass Sie zurückrufen.«
»Wissen Sie eigentlich, dass Sie da in ein Wespennest stechen?«
»Ja? Das höre ich gerne! Hat es vielleicht mit der Moseley-Studie zu tun?«
Er zögert. »Ja, die deutschen Orthopäden haben die größten Schwierigkeiten damit, die Ergebnisse dieser Studie anzunehmen.«
»Den Eindruck habe ich auch.«
Dann beschließe ich zu testen, ob Orthopäde X mir wirklich etwas sagen will. Zugleich will ich ihm signalisieren, dass ich mich in der Materie schon etwas auskenne: »Das fängt schon beim wording im Umgang mit der Moseley-Studie an. Ich habe das Gefühl, die Orthopäden haben sich geeinigt, in diesem Zusammenhang von der Arthroskopie zu sprechen – also nicht vom Knorpelglätten, sondern nur von der Besichtigung des Kniegelenks per Endoskopie. Um dann zu sagen, dass die Moseley-Studie den Sinn der Arthroskopie nicht widerlegt hätte. Das ist doch ein Ablenkungsmanöver.«
Kurzes Schweigen auf der anderen Seite. Dann kommt der Satz: »Das kann ich Ihnen bestätigen.«
Dieser Satz gehört zu der Kategorie der Zweifelkiller.
»Aber Herr X. Man kann doch nicht 70 000 Patienten pro Jahr mit einer Operation behandeln, die sich in einer exzellenten Studie als sinnlos erwiesen hat. Immer weiter operieren. Das ist doch …« Ich suche nach einem Wort, das nicht zu hart klingt. Schließlich möchte ich das Gespräch nicht gefährden, will Orthopäde X nicht verschrecken. »… das ist doch unanständig.«
Und dann sagt er den Satz: »Aber Herr Wittig, das machen doch alle!«
Ich bin für einen Moment sprachlos. Eigentlich hätte es mich nicht überraschen sollen. Denn ich berichte ja seit Jahren über überflüssige Medizin. Trotzdem. Auf so eine flächendeckende Bankrotterklärung der medizinischen Moral war ich nicht gefasst.
»Herr X. Ich finde das interessant. Würden Sie das eventuell vor der Kamera wiederholen? In unserem Wissenschaftsmagazin im SWR-Fernsehen?«
»Ich bin doch nicht verrückt!«
»Herr X: Ich sage Ihnen vollen Quellenschutz zu, und wir anonymisieren Sie komplett. Auch Ihre Stimme tauschen wir aus. Das ist normalerweise kein Stilmittel in unserem Magazin. Das machen eher die Kollegen der investigativen Politmagazine. Aber wenn Sie solche Aussagen machen, bekomme ich dafür sicher das Okay der Redaktionsleitung.«
»Das muss ich mir überlegen.«
Und dann hebt Orthopäde X zu einer Erklärung an, die zum Schrägsten gehört, was ich in meinem Leben je gehört habe.
Dann müssen Sie die Orthopäden auch beschäftigen
»Herr Wittig, Sie müssen sich das auch mal von dieser Seite aus überlegen: Für die Bevölkerung ist doch der leichte Zugang zu medizinischer Versorgung ein Vorteil. Also, wenn es viele Orthopäden gibt, ist das prinzipiell gut. Aber Sie müssen diese Orthopäden dann natürlich auch beschäftigen …«
Was hat der Mann da gerade gesagt? Viele Orthopäden versprechen im Ernstfall leichten Zugang zur medizinischen Hilfe. Aber weil es insgesamt nicht genügend ehrliche Arbeit für diese große Zahl von Orthopäden gibt, müssen sie an der Bevölkerung auch überflüssige Eingriffe vornehmen dürfen! Ich muss an dieser Stelle nicht weiter ausführen, dass diese schräge Logik falsch ist. Die Fachärzte lassen sich überwiegend in den Städten nieder. Da ist das Leben interessanter
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