Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
angesichts dessen, was der Orthopäde sagte, als ich ihn auf die Moseley-Studie ansprach. Dr. M. erklärte verdächtig umständlich: «Der Rückschluss aus der Moseley-Studie kann natürlich nicht dergestalt lauten, dass man also die Botschaft rüberbringt: Alle Arthroskopien am Kniegelenk bei älteren Patienten mit Schmerzen sind überflüssig und sinnlos. Das stimmt in dieser Ausprägung natürlich nicht.«
Was für eine Missachtung des Anspruchs der Patienten auf eine ehrliche und dem medizinischen Wissen entsprechende Aufklärung und Behandlung! Was für eine Kaltschnäuzigkeit, sich hier mit einem billigen Wortspiel aus der Verantwortung zu stehlen! Denn: Die Frage war nicht, ob »alle Arthroskopien am Kniegelenk bei älteren Patienten mit Schmerzen sinnlos sind«. Eine Arthroskopie ist zunächst eine Gelenkspiegelung. Also eine Untersuchung. Und natürlich ist es nicht »generell sinnlos und überflüssig«, bei Patienten mit Knieschmerzen das Knie zu untersuchen. Da drinnen kann ja weiß Gott was los sein. Moseleys Studie aber zeigte, dass die weltweit jährlich vielhunderttausendfach vorgenommene Knorpelglättung im Knie in der Regel sinnloser Hokuspokus ist. Darum geht es. Und darum, dass sich eine ganze Zunft von Medizinern schamlos mit dieser Nonsens-OP bereichert. Dr. M. weiß das ganz genau. Aber auf diesen Sachverhalt, auf diesen Skandal konnte der Kniespezialist natürlich nicht wirklich eingehen. Also startet er das Verwirrspiel mit der Arthroskopie, um die es gar nicht ging. Doch was hätte er dazu auch sonst sagen sollen? Vielleicht: »Okay, das Knorpelglätten ist in aller Regel Quatsch. Hier, nehmen Sie meinen Kittel, meinen Mundschutz, meine tolle Knorpelfräse. Ich sattele um auf Krankenpfleger.«
Mit einem Wortspiel abgemeiert
Ich frage den Orthopäden mit der grünen Maske vor dem Mund, ob die Studie denn nicht wenigstens in den Leitlinien seiner Fachgesellschaft erwähnt werden müsste. Jede Krankheit, die in das »Revier« der Fachgesellschaft gehört, wird in diesen Leitlinien besprochen. Es wird festgelegt, wie korrekt diagnostiziert und behandelt wird. Die neuesten wissenschaftlichen Studien sollten die Grundlage dieser Anleitungen sein. »Evidenzbasiert« lautet das Stichwort. Ich habe die Leitlinie zur »Gonarthrose« vor dem Dreh durchgelesen. Die jüngste dort erwähnte Studie war zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt. Die Leitlinien würden ja regelmäßig überarbeitet, sagt Dr. M. Ich solle doch im nächsten Frühjahr mal wieder reinschauen. Dann würde ich die Moseley-Studie sicher darin finden. Natürlich habe ich im nächsten Frühjahr nachgesehen. Und in den folgenden vier Jahren immer mal wieder. Sie ahnen es: Die Moseley-Studie wurde weiterhin mit keinem Wort erwähnt.
Der zweite Orthopäde, mit dem ich über die Moseley-Studie spreche, etwa zwei Jahre später, ist Professor Robert E. Von der Moseley-Studie fehlt in den Leitlinien, wie gesagt, jede Spur. Robert E. ist – wie man so sagt – ein »hohes Tier« in seiner Fachgesellschaft, der DGOOC. Genaueres möchte ich auch hier nicht sagen, denn er ist eigentlich ein sympathischer Mann und hat mir für einen Fernsehbeitrag zu Problemen mit orthopädischen Implantaten interessante Details erklärt. Nach dem Dreh für das SWR-Wissenschaftsmagazin Odysso – meine journalistische »Heimatredaktion« – sitzen wir noch eine Viertelstunde zusammen und plaudern, während das Kamerateam die Lampen abbaut und das technische Equipment zusammenräumt. Ich frage Professor E., was er zur Moseley-Studie sagt.
Das soldatische Knie
Er erklärt mir, es gebe ja auch Kritik an der Studie. Die Schmerzpatienten seien Veteranen gewesen. Ehemalige Soldaten mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren. Ob diese Ergebnisse auf die Normalbevölkerung übertragen werden könnten, sei fraglich. Macht also das Marschieren das soldatische Knie prinzipiell zu einem medizinischen Unikum? Funktioniert das Gelenk eines Soldaten anders als das Knie eines Patienten, der nicht gedient hat? Professor E. lächelt ein wenig säuerlich und schüttelt dann andeutungsweise den Kopf. Ich habe das Gefühl, er weiß, wie lächerlich diese Argumentation ist.
Dann unternimmt er – halbherzig – einen weiteren Versuch, die Ehre seiner Kollegen zu retten: Wirkungslos sei die Knorpelglättung ja nicht. Die Patienten bekämen dadurch doch eine gewisse Schmerzlinderung. Wenn auch nur aufgrund des Placeboeffekts. Aber das müsse man dennoch als einen Erfolg der Behandlung
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