Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
heißt im Wesentlichen Inkontinenz. Dabei können Frauen einer weiteren Senkung der Gebärmutter und der Gefahr der Inkontinenz auch mit Beckenbodengymnastik entgegenwirken. Auch bei Frauen in fortgeschrittenem Alter, die beim Beckenbodentraining vielleicht nicht mehr so erfolgreich sind, gibt es konservative – also erhaltende – Methoden. Etwa mit Hormonsalben.
»Normatives Denken«, wie Edith Bauer es nennt, beschert der Gesundheitsindustrie generell viel Kundschaft. Fachgesellschaften definieren diese Normen – meist »Grenzwerte« genannt – und bestimmen damit, wie viele behandlungsbedürftige Patienten sie haben. Fassen sie die Grenzwerte strenger, haben sie von heute auf morgen mehr Patienten. Deshalb ist »normatives Denken« in der westlichen, gewinnorientierten Medizin so weit verbreitet, wie wir an vielen Beispielen sehen werden.
Die Gebärmutter: ein gefährdetes Organ
»Dass die Gebärmutterentfernung so häufig gemacht wird, hat vor allem einen Grund: Der Eingriff gilt als einfach und komplikationsarm«, sagt Dr. Edith Bauer vollkommen ruhig. Mir kommt es vor, als habe die Gynäkologin in den Jahrzehnten ihrer Berufstätigkeit so viel über die Geldschneiderei so vieler Kolleginnen und Kollegen nachgedacht und diskutiert, dass sich ihre Emotionalität zu diesem Thema erschöpft hat. »Die Gebärmutter ist für die Gynäkologen ein Fortpflanzungsorgan«, erklärt mir Dr. Bauer weiter. »Und nach den Wechseljahren hat sie in deren Augen keine Funktion mehr. Also, warum sollte man sie nicht entfernen, wenn sich irgendwelche Unregelmäßigkeiten zeigen.«
Also: Operieren, weil es einfach ist. Rausnehmen, weil das Organ »entbehrlich« ist. Auch wenn die Gebärmutter nach den Wechseljahren tatsächlich keine Funktion mehr hätte, widerspricht ein überflüssiger Eingriff nicht nur jeder medizinischen Ethik, sondern ist nach geltender Gesetzeslage Körperverletzung. Erschwerend kommt hinzu, dass es längst Studien gibt, die die These vom überflüssigen Organ widerlegen. So zeigt eine Studie aus Schweden für Frauen, deren Gebärmutter vor ihrem 50. Lebensjahr entfernt wurde, ein deutlich höheres Risiko, wegen einer Herzkranzgefäßerkrankung, eines Schlaganfalls oder wegen Herzversagen in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden. 5 Der Grund liegt darin, dass die Gebärmutter auch nach den Wechseljahren den Stoffwechsel beeinflussen kann. Selbst nach der Menopause gibt sie offenbar noch Hormone ab, die eine schützende Wirkung haben. Ehrlich gesagt, ist das medizinische Wissen über diese Zusammenhänge noch sehr begrenzt. In einer weiteren Studie wurde nachgewiesen, dass nach einer Gebärmutterentnahme das Risiko für Harninkontinenz um 20 Prozent steigt. 6 Das ist unter anderem deshalb »interessant«, weil die Vermeidung von Harninkontinenz zu den Argumenten gehört, mit denen Gynäkologen häufig versuchen, Frauen zu einer Gebärmutterentfernung zu überreden.
Die Hysterektomie – der Fachbegriff für das Entfernen der Gebärmutter – ist übrigens eines der wenigen Beispiele für Geldschneiderei, die durch kritische Berichterstattung zumindest vorübergehend zurückgedrängt wurden. In den 90er-Jahren schrieb beispielsweise meine Kollegin Eva Schindele das Buch Pfusch an der Frau – krank machende Normen, überflüssige Operationen, lukrative Geschäfte . 7 Und die Gynäkologin Dr. Barbara Ehret-Wagener vom Internationalen Zentrum für FrauenGesundheit in Bad Salzuflen kritisierte das »Geschäftsgebaren« ihrer Kollegen so harsch, dass es öffentliche Diskussionen gab und die Zahl der Hysterektomien von 130 000 pro Jahr auf deutlich unter 100 000 zurückging. Doch mittlerweile hat die Zahl der Eingriffe die alten Höchststände sogar überschritten.
Überholte Lehrmeinungen und Operationswut
Im September 2005 bekommt die Gynäkologin Dr. Barbara Ehret-Wagener auf dem Kongress des Deutschen Ärztinnenbundes eine Auszeichnung mit dem Titel »Mutige Löwin« verliehen. Für ihr Auftreten »gegen überholte Lehrmeinungen und Operationswut«. In der Laudatio heißt es: »Sie hat sich als Gynäkologin besonders eingesetzt für eine sinnvolle Begrenzung von Operationen und operativen Eingriffen an Frauen …
Dr. Ehret-Wagener hatte offensichtlich schon in der Zeit ihrer fachärztlichen Ausbildung kritisch beobachtet, dass an manchen Kliniken nicht immer zum Besten der Patientinnen gearbeitet wurde. Dass außerdem die männlichen Kollegen eine verbreitete Ansicht vertraten, wonach das weibliche
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