Die Weisse Massai
binden, was aber durch den jäh aufkommenden Wind sehr schwierig ist. Mama kämpft bei ihrer Hütte, wir bei unserer. Nun prasselt der Regen los. Einen solchen Schauer habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Innerhalb kurzer Zeit steht das ganze Land unter Wasser. Der Wind bläst die feuchte Luft in alle Ritzen. Das Feuer müssen wir auch löschen, da überall Funken herumfliegen. Ich ziehe alles an, was irgendwie wärmt. Nach einer Stunde tropft trotz der Plastikhülle an einigen Stellen das Wasser in unsere Hütte. Wie naß wird es erst bei Mama und Saguna sein!
Stetig kriecht das Wasser vom Eingang in Richtung Schlafplatz. Mit einer Tasse grabe ich die Erde ab, damit das Wasser nicht weiter ansteigt. Der Wind zerrt an den Plastikbahnen, und ich rechne jeden Moment damit, daß sie weggerissen werden. Draußen rauscht es, als wären wir auf einem reißenden Fluß. Das Wasser dringt nun auch seitlich in unsere Hütte. Ich schaffe alles in die Höhe, so gut es geht. Die Decken stopfe ich in die Reisetasche, damit wenigstens sie trocken bleiben.
Nach etwa zwei Stunden hört der Spuk plötzlich auf. Wir kriechen aus der Hütte, und ich erkenne das Land nicht wieder. Einige Hütten hat es fast abgedeckt, Ziegen rennen verstört umher. Mama steht patschnaß vor ihrer Hütte, die im Wasser schwimmt. Saguna sitzt zitternd und weinend in einer Ecke. Ich nehme sie zu uns und ziehe ihr einen trockenen Sweater von mir über. So kann sie sich wenigstens darin einwickeln. Überall kommen die Leute aus ihren Behausungen. Das Wasser hat richtige Bäche gegraben und braust zum Fluß hinunter. Plötzlich vernehmen wir einen Knall. Erschrocken schaue ich Lketinga an und frage, was das war. Eingehüllt in seine rote Decke lacht er und meint, nun sei am River die Flutwelle vom Berg heruntergekommen. Ein Tosen wie von einem großen Wasserfall ist zu hören.
Lketinga möchte mit mir zum großen River hinunter, doch Mama ist nicht einverstanden. Es ist viel zu gefährlich, sagt sie sehr bestimmt. Also gehen wir auf die andere Seite, wo der Lori im Sand steckengeblieben war. Dieser Fluß ist nun etwa 25 Meter breit. Der andere mißt sicher das Dreifache. Lketinga hat seine Wolldecke bis über den Kopf gezogen, während ich zum ersten Mal hier oben meine Jeans mit Pullover und Jacke trage. Die wenigen Menschen, denen wir begegnen, staunen bei meinem Anblick. Natürlich haben sie noch nie eine Frau in Hosen gesehen. Ich habe Mühe, daß sie mir nicht herunterrutschen, da ich sie wegen meines Bäuchleins nicht schließen kann.
Das Rauschen wird immer lauter, so daß wir kaum unsere Worte verstehen können. Und dann sehe ich den reißenden Fluß vor mir. Kaum zu glauben, wie er sich verwandelt hat! Die braune Masse reißt alles mit. Büsche und Steine rollen davon. Die Gewalt der Natur verschlägt mir die Sprache. Plötzlich glaube ich, einen Schrei gehört zu haben. Ich frage Lketinga, ob er es ebenfalls gehört hat. Doch er verneint. Dann vernehme ich es ganz deutlich, hier schreit jemand. Nun bestätigt es auch mein Mann. Woher kommt das Geräusch? Wir rennen am oberen Uferrand entlang, bedacht, ja nicht auszurutschen.
Nach einigen Metern sehen wir das Entsetzliche. Mitten im Fluß, auf einer Felsgruppe, hängen zwei Kinder bis zum Hals im reißenden Wasser. Lketinga zögert keinen Augenblick und schreit ihnen etwas zu, während er die Böschung hinunterklettert. Es sieht schrecklich aus. Immer wieder werden die Köpfe vom ansteigenden Wasser überspült. Die Händchen klammern sich am Felsen fest. Ich weiß, mein Mann hat Angst vor tiefem Wasser und schwimmen kann er auch nicht. Wenn er hinfällt, ist er im reißenden Fluß hoffnungslos verloren. Und doch kann ich es gut verstehen und bin stolz darauf, daß er es wagt, diese Kinder zu retten.
Er nimmt einen langen Stock und kämpft sich gegen die Fluten zum Felsen, während er ständig etwas zu den Kindern hinüberruft. Ich stehe da und bete um gute Schutzengel. Er hat den Felsen erreicht, packt das Mädchen auf seinen Rücken und kämpft sich zurück. Gebannt schaue ich auf den Knaben, der noch drüben hängt. Sein Kopf ist bald nicht mehr zu sehen. Nun gehe ich meinem Mann entgegen und nehme ihm das Mädchen ab, damit er sofort zurückgehen kann. Das Kind ist schwer, und es kostet mich große Anstrengung, die zwei Meter ans Ufer zu kommen. Ich setze sie ab und ziehe ihr sofort meine Jacke über. Sie ist eiskalt. Mein Darling rettet auch den kleinen Jungen, der einiges an Wasser
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