Die Weisse Massai
Unklares abgehört hat. Er setzt sich sofort in seinen Land-Cruiser und braust davon.
Ich gehe nach Hause. Nach dieser Aufregung kann ich keine zusätzliche Hektik im Shop ertragen. Mama will natürlich wissen, warum der Laster vor uns hier war, aber ich kann nur notdürftig Auskunft geben. Ich koche Chai und lege mich hin. Meine Gedanken kreisen ständig um den Unfall. Ich nehme mir vor, diese Straße nicht mehr zu benützen. In meinem Zustand wird es langsam gefährlich. Gegen 22 Uhr kommt Lketinga mit den zwei Kriegern nach Hause. Sie kochen gemeinsam einen Topf Maisbrei, und ihr Gespräch dreht sich nur um das schreckliche Unglück. Irgendwann schlafe ich ein.
Morgens holen uns die ersten Kunden zum Shop. Weil ich gespannt bin auf unseren neuen Mitarbeiter, der Anna ersetzt, gehe ich früh hinunter. Mein Mann macht mich mit dem Boy bekannt. Vom ersten Augenblick an ist er mir äußerst unangenehm, nicht nur, weil er unmöglich aussieht, sondern auch arbeitsscheu wirkt. Doch ich bemühe mich, mir das Vorurteil nicht anmerken zu lassen, denn ich darf nun wirklich nicht mehr so viel arbeiten, wenn ich mein Kind nicht verlieren will. Er arbeitet halb so schnell wie Anna, und jeder zweite fragt nach ihr.
Nun möchte ich von Lketinga doch wissen, wieso wir nicht mehr Geld in Maralal hatten. Mit einem Blick habe ich gesehen, daß das Lager unmöglich die fehlende Differenz aufwiegt. Er holt ein Heftchen hervor und zeigt mir stolz das Kreditbüchlein von verschiedenen Personen. Die einen kenne ich, von anderen kann ich nicht einmal den Namen entziffern. Ich werde sauer, denn vor Beginn des Shops habe ich erklärt: »No credit!«
Der Boy mischt sich ein und beteuert, er kenne diese Leute, und es sei bestimmt kein Problem. Trotzdem bin ich nicht einverstanden. Gelangweilt, fast abschätzig hört er sich meine Argumente an, was mich noch wütender macht. Mein Mann meint zu guter Letzt, daß dies ein Samburu-Shop sei und er seinen Leuten helfen müsse. Wieder stehe ich als böse, habgierige Weiße da, dabei kämpfe ich nur ums Überleben. Mein Geld in der Schweiz reicht keine zwei Jahre mehr und was dann? Lketinga verläßt das Geschäft, weil er es nicht ertragen kann, wenn ich etwas energischer werde. Natürlich schauen alle Anwesenden auf uns, sobald ich als Frau ein paar laute Töne von mir gebe.
An diesem Tag gibt es endlose Debatten mit den Kunden, die mit Kredit gerechnet haben. Einige Hartnäckige warten einfach stur auf meinen Mann. Mit dem Boy macht mir das Arbeiten nicht so viel Spaß wie mit Anna. Ich wage kaum, auf die Toilette zu gehen, weil ich vermute, betrogen zu werden. Da mein Mann erst gegen Abend auftaucht, habe ich schon am ersten Tag mehr gearbeitet, als mir bekommt. Die Beine schmerzen. Gegessen habe ich bis zum Abend wieder nichts. Zuhause fehlen Wasser und Brennholz. Ein wenig wehmütig denke ich an den Service im Hospital: Dreimal täglich essen, ohne selbst kochen zu müssen.
Da mir nun die Beine schneller ermüden, muß etwas geschehen. Ein Chai am Morgen und ein Essen am Abend reichen nicht aus, um mehr an Kraft aufzubauen. Mama ist ebenfalls der Meinung, ich müsse viel mehr essen, sonst wird es kein gesundes Kind. Wir beschließen, sobald als möglich in den hinteren Teil des Shops umzuziehen. So müssen wir leider unsere schöne Manyatta nach vier Monaten wieder verlassen, doch Mama wird sie bekommen, und das beglückt sie sehr.
Wenn wir den nächsten Laster mieten, werden wir ein Bett, einen Tisch und Stühle mitbringen lassen, damit wir umziehen können. Beim Gedanken an ein Bett freue ich mich sehr, das Schlafen auf dem Boden bereitet mir allmählich Rückenschmerzen. Mehr als ein Jahr hat es mich nicht gestört.
Seit ein paar Tagen sind Wolken am sonst immer blauen Himmel aufgezogen. Alle Menschen warten auf Regen. Das Land ist völlig ausgetrocknet. Die Erde ist schon lange rissig und steinhart. Immer wieder hört man von Löwen, die die Herden am hellichten Tag überfallen. Die Kinder, die die Herden bewachen, geraten meistens in Panik, wenn sie ohne die Ziegen nach Hause eilen müssen, um Hilfe zu holen. Nun geht auch mein Mann wieder öfters mit unserer Herde den ganzen Tag auf Wanderschaft, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ständig im Laden den Burschen selber zu kontrollieren und mitzuarbeiten.
Der große Regen
Am fünften Wolkentag fallen die ersten Regentropfen. Es ist Sonntag, unser freier Tag. In aller Eile versuchen wir, Plastikbahnen über die Manyatta zu
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