Die Weisse Massai
Spital bekommen wir ein Zimmer für uns. Es ist herrlich. Die Schwestern sind erleichtert, als sie mich wiegen und ich tatsächlich genau siebzig Kilo auf die Waage bringe. Nun heißt es für uns warten. Fast täglich stricke ich etwas für mein Kind, während Sophia den ganzen Tag Bücher über Schwangerschaft und Geburt liest. Ich will gar nichts darüber wissen, sondern mich überraschen lassen. Mit gutem Essen versorgt uns Sali aus dem Dörfchen.
Die Zeit schleicht dahin. Täglich kommen Kinder zur Welt. Wir hören die Frauen meistens bis in unser Zimmer. Sophia wird immer nervöser. Bei ihr müßte es schon bald losgehen. Bei den täglichen Untersuchungen stellt man fest, daß sich mein Uterus bereits etwas geöffnet hat. Deshalb bekomme ich Bettruhe verordnet. Doch dazu kommt es nicht mehr, denn kaum hat die Ärztin unser Zimmer verlassen, verliere ich mein Fruchtwasser. Überrascht und glücklich schaue ich zu Sophia und sage: »I think my baby is coming!« Erst will sie es gar nicht glauben, da ich noch gut eine Woche Zeit habe. Sie holt die Ärztin zurück, und als sie sieht, was los ist, bestätigt sie mir mit ernster Miene, heute nacht werde mein Kind kommen.
Napirai
Sophia ist verzweifelt, weil bei ihr nichts passiert. Um acht Uhr habe ich die ersten leichten Wehen. Zwei Stunden später sind sie schon sehr vehement. Von nun an werde ich jede halbe Stunde untersucht. Gegen Mitternacht ist es kaum noch zu ertragen. Ständig muß ich mich übergeben vor Schmerz. Endlich werde ich in den Gebärsaal geführt. Es ist derselbe Raum, in dem ich schon einmal auf dem Gynäkologenstuhl saß und untersucht wurde. Die Ärztin und zwei schwarze Schwestern reden auf mich ein. Seltsamerweise verstehe ich kein Englisch mehr. Zwischen den Wehen starre ich die Frauen an und sehe nur, wie ihre Münder auf- und zugehen. Panik ergreift mich, weil ich nicht weiß, ob ich alles richtig mache. Atmen, gut atmen, hämmert es in meinem Kopf. Dann werden meine Beine an den Stuhl gebunden. Ich fühle mich hilflos und entkräftet. Gerade als ich schreien will, ich könne nicht mehr, drückt mir eine Schwester den Mund zu. Voller Angst schaue ich zu der Ärztin. In diesem Moment höre ich, daß sie bereits das Köpfchen des Kindes sieht. Bei der nächsten Wehe muß es kommen. Mit letzter Kraft presse ich und spüre eine Art Explosion im Unterleib. Mein Mädchen ist geboren. Es ist 1.15 Uhr. Ein gesundes, 2.960 Gramm schweres Mädchen ist auf die Welt gekommen. Ich bin überglücklich. Sie ist so schön wie ihr Vater, und wir werden sie Napirai nennen.
Noch während die Ärztin mit der Nachgeburt und dem Nähen beschäftigt ist, geht die Tür auf, und Sophia fällt mir freudig um den Hals. Sie hat die Geburt durch das Fenster miterlebt. Mein Kindchen wird mir noch einmal gezeigt und anschließend zu den anderen Neugeborenen gebracht. Ich bin froh, denn im Moment bin ich viel zu schwach, es zu heben. Nicht einmal die angebotene Teetasse kann ich halten. Ich will nur schlafen. Im Rollstuhl werde ich ins Zimmer zurückgebracht und bekomme eine Schlaftablette.
Um fünf erwache ich mit höllischen Schmerzen zwischen den Beinen und wecke Sophia, die sofort aufsteht, um eine Nachtschwester zu suchen. Mit schmerzstillenden Tabletten werde ich beruhigt. Um acht schleppe ich mich mühsam zum Babyraum, um mein Kind zu sehen. Als ich es endlich entdecke, bin ich erleichtert, aber es schreit vor Hunger. Ich muß es stillen, doch das bereitet große Schwierigkeiten. Aus meinen mittlerweile riesigen Brüsten kommt kein Tropfen. Mit Absaugen geht auch nichts. Gegen Abend halte ich es kaum noch aus. Meine Brüste sind hart wie Stein und schmerzen, während Napirai ununterbrochen schreit. Eine schwarze Schwester schimpft, ich solle mir mehr Mühe geben, damit sich die Milchdrüsen öffnen, bevor ich eine Entzündung bekomme. Unter grauenhaften Schmerzen probiere ich alles. Zwei Samburu-Frauen kommen und »melken« meine Brüste fast eine halbe Stunde, bevor endlich die erste Milch fließt. Dafür hört es jetzt nicht mehr auf. Es kommt so viel, daß mein Baby wieder nicht trinken kann. Erst im Laufe des Nachmittags gelingt es das erste Mal.
Sophia liegt seit Stunden in den Wehen, doch das Kind will nicht kommen. Sie heult und schreit und verlangt einen Kaiserschnitt, was der Arzt ablehnt, da dafür kein Grund besteht. Noch nie habe ich Sophia so erlebt. Dem Arzt wird es langsam zu bunt, und er droht ihr, sie nicht zu entbinden, falls sie sich nicht
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