Die Weisse Massai
wieder schlafen.
Morgens um sechs Uhr geht die Sonne auf, und mit ihr erwachen Tiere und Menschen. Die Ziegen blöken laut, denn sie wollen raus. Überall höre ich Stimmen, und der Platz von Mama ist bereits leer. Eine Stunde später erheben auch wir uns und trinken Chai. Dies wird fast zur Qual, da mit der Morgensonne auch die Fliegen erwachen. Stelle ich die Tasse neben mich auf die Erde, umschwirren Dutzende den Rand der Tasse. Unentwegt surren sie um meinen Kopf. Saguna scheint es kaum zu bemerken, obwohl sie ihr in den Augen- und sogar in den Mundwinkeln sitzen. Ich frage Lketinga, woher all diese Fliegen kommen. Er deutet auf den Ziegenkot, der sich während der Nacht angesammelt hat. Durch die Hitze am Tag trocknet der Kot aus, und die Fliegen werden weniger. Deshalb habe ich es am gestrigen Abend nicht so penetrant empfunden. Er lacht, dies sei nur der Anfang, wenn erst die Kühe wiederkämen, werde es noch viel schlimmer, denn deren Milch ziehe Tausende von Fliegen an. Noch unangenehmer seien die Moskitos, die nach Regenfällen auftauchten. Nach dem Chai möchte ich zum River, um mich endlich zu waschen. Mit Seife, Handtuch und frischer Wäsche ausgerüstet, ziehen wir los. Lketinga trägt lediglich einen gelben Kanister für das nächste Chai-Wasser von Mama. Wir gehen etwa einen Kilometer einen schmalen Weg hinunter bis zu dem breiten Flußbett, das wir am Tag zuvor mit dem Landrover überquert haben. Links und rechts des Flußbettes stehen große, saftige Bäume, aber Wasser sehe ich keines. Wir spazieren am trockenen Fluß entlang, bis nach einer Biegung Felsen auftauchen. Tatsächlich fließt hier noch ein kleines Bächlein aus dem Sand.
Wir sind nicht die einzigen hier. Neben dem Rinnsal haben einige Mädchen ein Loch in den Sand gegraben und schöpfen mit einem Becher geduldig ihre Kanister mit Trinkwasser voll. Beim Anblick meines Kriegers senken sie verschämt den Kopf und schöpfen kichernd weiter. Zwanzig Meter weiter unten steht eine Gruppe von Kriegern nackt am Bach. Sie waschen sich gegenseitig. Ihre Hüfttücher liegen auf den warmen Felsen zum Trocknen. Mein Anblick läßt sie verstummen, doch ihre Nacktheit stört sie offensichtlich nicht. Lketinga bleibt stehen und spricht mit ihnen. Einige sehen mich unverhohlen an, während ich bald nicht mehr weiß, wohin ich schauen soll. So viele nackte Männer, denen dies nicht einmal bewußt ist, habe ich noch nie gesehen. Die schlanken, graziösen Körper glänzen wunderschön in der Morgensonne.
Da ich nicht recht weiß, wie ich mich in dieser ungewohnten Situation verhalten soll, schlendere ich weiter und setze mich nach ein paar Metern an das spärlich fließende Wasser, um die Füße zu waschen. Lketinga tritt zu mir und meint: »Corinne, come, here is not good for lady!« Wir gehen um eine weitere Biegung des Flußbettes, bis wir nicht mehr gesehen werden können. Hier entblättert er sich und wäscht sich. Als auch ich alles ausziehen möchte, schaut er mich erschrocken an. »No, Corinne, this is not good!« »Warum?« frage ich. »Wie soll ich mich waschen, wenn ich mein T-Shirt und den Rock nicht ausziehen kann?« Er erklärt mir, daß ich die Beine nicht entblößen dürfe, das sei unsittlich. Wir debattieren, und schließlich knie ich doch nackt am Fluß und wasche mich gründlich. Lketinga seift mir den Rücken und die Haare ein, dabei blickt er ständig um sich, ob uns wirklich niemand beobachtet.
Das Waschritual dauert etwa zwei Stunden, dann gehen wir zurück. Am River herrscht jetzt heftiges Treiben. Mehrere Frauen waschen sich Kopf und Füße, andere graben Löcher, damit sie die Ziegen tränken können, und wieder andere schöpfen geduldig ihre Behälter voll Wasser. Auch Lketinga stellt seinen kleinen Wasserkanister hin, den ihm sofort ein Mädchen füllt.
Dann schlendern wir durch das Dorf, weil ich die Geschäfte besichtigen will. Es gibt drei viereckige Lehmhüttchen, die Geschäfte sein sollen. Lketinga spricht mit den jeweiligen Besitzern, die alle Somalis sind. Überall schütteln sie den Kopf. Es gibt nichts zu kaufen außer etwas Teepulver oder Kimbo-Fettbüchsen. Beim größten finden wir noch ein Kilogramm Reis. Als er es uns einpacken will, entdecke ich, daß der Reis voller kleiner schwarzer Käferchen ist. »Oh no«, sage ich, »I don’t want this!« Er bedauert und nimmt ihn zurück. Wir haben also nichts zu essen.
Unter einem Baum sitzen mehrere Frauen und bieten Kuhmilch aus ihren Kalebassen zum Verkauf an.
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