Die Weiße Rose
Schulung‹ hieß die verächtliche Methode, das aufkeimende Selbstdenken und Selbstwerten in einem Nebel leerer Phrasen zu ersticken. Eine Führerauslese, wie sie teuflischer und zugleich bornierter nicht gedacht werden kann, zieht ihre künftigen Parteibonzen auf Ordensburgen zu gottlosen, schamlosen und gewissenlosen Ausbeutern und Mordbuben heran, zur blinden, stupiden Führergefolgschaft. Wir ›Arbeiter des Geistes‹ wären gerade recht, dieser neuen Herrenschicht den Knüppel zu machen. Frontkämpfer werden von Studentenführern und Gauleiteraspiranten wie Schulbuben gemaßregelt, Gauleiter greifen mit geilen Späßen den Studentinnen an die Ehre. Deutsche Studentinnen haben an der Münchner Hochschule auf die Besudelung ihrer Ehre eine würdige Antwort gegeben, deutsche Studenten haben sich für ihre Kameradinnen eingesetzt und standgehalten … Das ist ein Anfang zur Erkämpfung unserer freien Selbstbestimmung, ohne die geistige Werte nicht geschaffen werden können. Unser Dank gilt den tapferen Kameradinnen und Kameraden, die mit leuchtendem Beispiel vorangegangen sind!
Es gibt für uns nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteigliederungen, in denen man uns politisch weiter mundtot halten will! Heraus aus den Hörsälen der SS -Unter- und -Oberführer und Parteikriecher! Es geht uns um wahre Wissenschaft und echte Geistesfreiheit! Kein Drohmittel kann uns schrecken, auch nicht die Schließung unserer Hochschulen. Es gilt den Kampf jedes einzelnen von uns um unsere Zukunft, unsere Freiheit und Ehre in einem seiner sittlichen Verantwortung bewußten Staatswesen.
Freiheit und Ehre! Zehn lange Jahre haben Hitler und seine Genossen die beiden herrlichen deutschen Worte bis zum Ekel ausgequetscht, abgedroschen, verdreht, wie es nur Dilettanten vermögen, die die höchsten Werte einer Nation vor die Säue werfen. Was ihnen Freiheit und Ehre gilt, das haben sie in zehn Jahren der Zerstörung aller materiellen und geistigen Freiheit, aller sittlichen Substanz im deutschen Volk genugsam gezeigt. Auch dem dümmsten Deutschen hat das furchtbare Blutbad die Augen geöffnet, das sie im Namen von Freiheit und Ehre der deutschen Nation in ganz Europa angerichtet haben und täglich neu anrichten. Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet. Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns!
»Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!«
Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre.
Bemerkungen zu den Zielen der Weißen Rose
Dieses Buch entstand in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, in dessen Trümmern das Dritte Reich endete. Damals schrieb ich die Geschichte der Weißen Rose auf, ausgehend von der Geschichte meiner Geschwister Hans und Sophie, weil ich immer und immer wieder danach gefragt wurde – von Lehrern, von Schülern, von Studenten, von alten und jungen Zeitgenossen meiner Geschwister; ich schrieb sie auf für die Jugendlichen, die mit der Hitlerjugend aufgewachsen waren und denen das schreckliche Nichts jetzt die Augen geöffnet hatte – die nun nach der Wahrheit suchten, nach dem Anderen in ihrem eigenen Volk. Damals begann ein Prozeß der politischen Selbstbesinnung, es war ein befreiender Anfang …
Ich hatte mich darauf beschränkt, die Geschichte meiner Geschwister und ihrer Freunde aus unmittelbarer Nähe darzustellen. Die zeitliche Distanz, die es ermöglicht hätte, nach historischen Zusammenhängen zu fragen, gab es damals noch nicht, und auch die Frage nach dem Erfolg des Widerstandes wurde noch nicht gestellt. Denn für die Menschen, die nach Kriegsende von den schauerlichen Praktiken des Nazi-Systems erfuhren, war entscheidend, daß es überhaupt Widerstand gegeben hatte. Sie empfanden dies so, wie es in den Worten Sir Winston Churchills zum Ausdruck kam:
»In ganz Deutschland lebte eine Opposition, die zum Edelsten und Größten gehörte, das in der politischen Geschichte aller Völker je hervorgebracht wurde. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen oder
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