Die Weiße Rose
außen, einzig getrieben von der Unruhe ihres Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unerkennbar, da sie sich tarnen mußten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden. Diese Toten vermögen nicht alles zu rechtfertigen, was in Deutschland geschah. Aber die Toten und Opfer sind das unzerstörbare Fundament eines neuen Aufbaus.«
Vor allem die jungen Menschen, deren Gutgläubigkeit so sehr mißbraucht worden war, fanden aus der Geschichte der Weißen Rose die Ermutigung zu einem neuen Anfang. Sie fühlten nicht nur eine grausame Vergangenheit oder sogar eigenes Versagen auf sich lasten, sie brachen Resignation auf durch Anerkennung, ja Identifikation mit dem Widerstand.
Im Laufe der Zeit kamen Dokumente ans Licht, die meine Aufzeichnungen durch wichtige Details präzisierten; sie gaben Hinweise auf Zusammenhänge und machten die politischen Konturen dieses Widerstandskreises sichtbarer. Eine Auswahl der Dokumente ist in diese neue Ausgabe aufgenommen.
Vor allem die Augenzeugenberichte der Freunde haben dazu beigetragen, das Wissen um die Weiße Rose zu vertiefen.
Was waren das für Menschen, die es – als eine kleine Gruppe – wagten, mit Flugblättern gegen ein in Waffen starrendes System anzukämpfen, das nahezu ganz Europa unterjocht hatte?
Was war die Absicht des Widerstandes dieser Menschen, welche politischen Ziele, welches ideologische Konzept hatten sie?
Es bestand wohl bei allen Beteiligten der Münchner studentischen Widerstandsgruppe kein Zweifel darüber, daß jenes Regime mit seinem totalen Machtapparat nicht ohne die Mittel der Macht zu stürzen war. Da sie diese nicht hatten, suchten sie einen anderen Weg: den der Aufklärung und des
passiven Widerstandes.
Ob und wie konkret sie sich von seiner Entwicklung einen Umschlag in
aktiven Widerstand
erwarteten oder erhofften, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls heißt es in einem der Flugblätter der Weißen Rose ( II ): »Wenn so eine Welle des Aufruhrs durch das Land geht, wenn es in der Luft liegt, wenn viele mitmachen, dann kann in einer letzten gewaltigen Anstrengung dieses System abgeschüttelt werden. Ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende.«
Der Kreis der Weißen Rose in München zielte darauf, ein zunehmendes öffentliches Bewußtsein des wahren Charakters des Nationalsozialismus und der realen Situation zu schaffen, in die er Deutschland und Europa manövriert hatte. Sie wollten in möglichst breiten Kreisen passiven Widerstand wecken. Unter den gegebenen Umständen hätte dafür eine straffe Organisation keinen Erfolg gehabt. Die Angst der Bevölkerung vor dem ständig lauernden Gestapo-Zugriff und das äußerst engmaschige Spitzelsystem bildeten die stärkste Barriere.
Dagegen schien die Möglichkeit noch offen, durch anonyme Aufklärung den Eindruck zu verbreiten, daß es keinen geschlossenen Block mehr hinter dem ›Führer‹ gab, daß es »an allen Ecken und Enden brodelte«, wie damals ein Münchner Intellektueller die sich anbahnende Entwicklung kennzeichnete.
Die Parole vom passiven Widerstand sollte den vielen Einzelnen, die das Regime ablehnten, das Gefühl einer wenn auch unsichtbaren, so doch realen Solidarität vermitteln, diese stärken und vergrößern, Zweifelnde gewinnen, Indifferente zu einer Entscheidung bewegen, Nazigläubige in Zweifel versetzen und Begeisterte zur Skepsis bringen. Der passive Widerstand, zu dem die Flugblätter so unmißverständlich und beinahe beschwörend aufriefen, hatte allerdings nicht viele Möglichkeiten; aber seine wenigen sollten mobilisiert werden: von der kleinen persönlichen Einübung in Zivilcourage (zum Beispiel, indem man es unterließ, den Arm zum faschistischen Gruß zu erheben, wenn eine Kolonne Braunhemden mit der Fahne vorüberzog) bis zum Austritt aus der Partei oder der Hitlerjugend; dieser Schritt erforderte allerdings außergewöhnlichen Mut: er ließ einen als verdächtigen Volksfeind erscheinen. Da Hitler in seinen Stimmungen offensichtlich extrem abhängig von der Sympathie der Massen war, wäre ein Stimmungsumschwung durchaus keine stumpfe Waffe gewesen. So wurde damals auch in der obersten Parteispitze festgestellt, daß es sich bei den Flugschriften der Weißen Rose um eines der größten politischen ›Verbrechen‹ gegen das Dritte Reich gehandelt habe.
Der passive Widerstand hätte für einen unpolitischen Deutschen (der die Regel war) etwa mit folgenden Programmpunkten umschrieben werden können:
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