Die Welfenkaiserin
Bernhard heiser.
»Sein Leben hängt an einem seidenen Faden. Es liegt an dir, ihn loszuschneiden.«
Jetzt war Bernhard zu Verhandlungen bereit.
Wenig später verließ Judith den Raum und ging auf die Suche nach Wilhelm. Wie bei gutem Wetter üblich, hockte er im Klosterhof neben Ruadbern und starrte auf ein Pergament.
»Ich störe den Unterricht nicht gern«, sagte Judith ungnädig, »aber es wird Zeit für Wilhelm, heimzukehren.«
Ruadbern hob die Augenbrauen, und Wilhelm blickte sie verständnislos an.
»Komm mit«, befahl Judith dem Fünfzehnjährigen.
Nachdem Bernhard mit seinem Sohn das Abteigelände verlassen hatte, konnte sie Äbtissin Philomena eine frohe Botschaft überbringen. Pippin würde Karl nicht angreifen. Zur Feier des Tages opferte die Äbtissin das vorletzte Fass Wein, das Graf Hugo von Tours vor seinem Tod der Abtei hatte zukommen lassen.
»Ich kenne dich«, murmelte Ludwig. Unruhig bewegte er sich auf seinem Lager.
»Das stimmt. Ich soll dich von Abt Markward grüßen«, sagte Gerswind. »Er schickt dir einen Splitter vom Kreuz Jesu.« Wieder reichte sie Drogo, der hinter ihr ins Zelt gekommen war, einen kleinen Gegenstand. Der musterte ihn im Schein einer Öllampe und nickte beeindruckt.
»Dich sendet der Teufel«, knurrte der Kaiser und schlug das Kreuzzeichen.
»Aber nein«, beeilte sich Drogo zu sagen, »die Kaiserin selbst hat sie hergesandt. Mit diesem Ring.«
Mit zitternden Fingern nahm Ludwig den Ring an sich und streifte ihn über den kleinen Finger seiner linken Hand. Tränen rannen ihm übers Gesicht, während er mit schwacher Bewegung unablässig das Kreuz schlug.
»Ach, Judith, meine Judith, meine Judith und mein Karl, wie kann ich euch nur helfen! Jetzt seid ihr gänzlich schutzlos euren Feinden ausgeliefert!« Er schluchzte laut auf. »Meine arme Judith!«
Gerswind starrte auf das blasse, tränenüberströmte Gesicht des Mannes, der seine letzte Kraft auf das Schlagen des Kreuzzeichens und das Nennen von Judiths Namen zu verwenden schien.
»Verzeih deinen Feinden, mein Bruder!«, empfahl ihm Drogo eindringlich. Ludwig begann zu keuchen.
»Ich verzeihe meinem Sohn Lothar«, brachte er hervor, »aber meinem Sohn Ludwig kann und werde ich nicht verzeihen! Er ist der größte Verräter und schuld an allem Unglück; er sei verflucht!«, krächzte er verbittert.
Gerswind sog entsetzt die Luft ein. Wie konnte ein Vater auf dem Totenbett über seinen Sohn, gar seinem einstigen Liebling, einen Fluch verhängen! Sie hatte – wie die meisten im Land – längst aufgegeben, die ständig wechselnden Bündnisse zwischen Vater und Söhnen verstehen zu wollen, aber im Angesicht Gottes sollte doch Frieden herrschen! Zum zweiten Mal in ihrem Leben stand sie am Bett eines sterbenden Kaisers. Karl der Große hatte ein befriedetes, geeinigtes Reich und eine ihn liebende Familie hinterlassen, Ludwig hingegen hinterließ ein zerrissenes Reich und eine zerrissene Familie. Karl war friedlich und im Einklang mit sich und der Welt gestorben, nachdem er seine Ärzte fortgeschickt hatte. Ludwig stand die Angst vor dem Tod, und was danach folgen mochte, ins Gesicht geschrieben.
Sie bewunderte Drogo, der nicht nachließ, den Kaiser als Bruder und Bischof zur Versöhnlichkeit zu mahnen. Völlig ermattet gab Ludwig schließlich nach.
»Nun wohl, mein Bruder Drogo! Ich will auch Ludo vergeben, aber dir trage ich auf, ihn zu erinnern, dass er seines Vaters graue Haare mit Herzeleid in die Grube gebracht hat.«
Und dann erteilte Ludwig mit leiser Stimme seinen allerletzten Befehl. Drogo solle Lothar Krone und Schwert schicken, ihn als Kaiser bestätigen, »… als meinen wahrhaften Nachfolger, der sich um Judith und Karl liebevoll zu kümmern hat. Er soll Karl seinen Reichsteil sichern, aber vor allem meine geliebte Judith vor jeglicher Unbill schützen, meine edle, tapfere, wunderbare keusche Frau, das Glück meines Lebens, die Sonne meines Alters, meine Judith, meine geliebte Gemahlin …« Er begann heftig zu husten und schloss die Augen, während sich sein Gesicht zu einer Fratze verzerrte.
»Auch ich verzeihe dir, Ludwig!«, flüsterte Gerswind, während Drogo die letzte Ölung vornahm. »Ich verzeihe dir die Gewalt, die du mir angetan hast; deine anderen Sünden möge dir dein Herr verzeihen.«
Drogo sah Gerswind verwundert an und legte vorsichtig den Splitter vom Kreuz Jesu auf Ludwigs Brust.
Noch einmal riss der Kaiser angstvoll die Augen auf. Im Schatten Gerswinds an der Zeltwand
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