Die Welfenkaiserin
glaubte er den Teufel zu erkennen, der bereitstand, ihn zu sich zu holen. »Hutz, hutz!«, ächzte er, um ihn zu verjagen. Dann verschloss er auf immer die Augen.
Ein Stechen traf Judith während der Frühmesse am Sonntagmorgen plötzlich in die Seite. Sie krümmte sich vor Schmerzen, schlich gebückt aus der Kirche hinaus und brach im Abteihof zusammen. Ruadbern beugte sich besorgt über sie.
»Er ist tot«, brachte Judith hervor. »Er ist soeben gestorben.«
Äbtissin Philomena, die ebenfalls aus der Kirche geeilt war, forderte Ruadbern auf, Judith in ihr Gemach zu tragen. Sie werde ihr augenblicklich einen schmerzstillenden Trunk zubereiten.
»Gegen diesen Schmerz gibt es keine Kur«, stieß Judith aus. »Betet für die Seele meines Gemahls, das ist dringlicher.«
Die Äbtissin versprach, dies augenblicklich zu tun. Sie kam überhaupt nicht auf den Gedanken, an Judiths Wahrnehmung zu zweifeln. Schließlich wusste jeder im Reich, welch eine zärtliche Liebe das Kaiserpaar miteinander verbunden hatte. Der Tod des einen brachte auch über eine weite Entfernung hinweg dem anderen Schmerz.
Judith schlang die Arme um Ruadberns Hals, als er sie aufhob und sie in ihre Kammer trug. Sanft legte er sie auf ihr Bett, doch als er sich danach still entfernen wollte, schüttelte Judith den Kopf.
»Bleib«, flüsterte sie.
Die Hitze des Frühsommers erlaubte es nicht, die Bestattung des Kaisers lange hinauszuzögern. Drogo brachte den Leichnam sofort nach Metz. In der Kirche des Familienheiligen Arnulf fand Ludwig an der Seite seiner Mutter Hildegard, mit dem Ring ihrer Nachfolgerin Fastrada an der Hand, die ewige Ruhe. Als einziger Familienangehöriger erwies Drogo ihm die letzte Ehre. Judith und Karl hätten nicht beizeiten eintreffen können, wohl aber die Söhne Ludwig und Lothar. Doch beide hatten Wichtigeres zu tun, nämlich einander Land abzujagen und ein jeder für sich Pläne zu schmieden, den Halbbruder Karl um das seine zu bringen. Der Kaiser war tot, und der Bruderkampf um sein Erbe entbrannte jetzt in einer Weise, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte.
Vogelgezwitscher weckte sie, und ein vorwitziger Sonnenstrahl kitzelte sie an der Nase. Judith streckte einen Arm aus, doch der Platz neben ihr war leer.
Sie öffnete die Augen. Ruadbern saß auf einem Schemel neben ihrem Bett und reichte ihr einen Becher.
»Du brauchst Stärkung, Judi.«
»Die du mir bereits gegeben hast, mein Geliebter«, antwortete sie leise. »Ohne dich und deine Liebe hätte ich die vergangenen Wochen nicht überstanden. Gibt es neue Nachricht von Karl?«
Ruadbern schüttelte den Kopf.
»Nur von Lothar. Sein Anhang wächst stetig. Drogo, Rabanus Maurus und Walahfrid Strabo haben sich ihm angeschlossen. Er hat Ebbo von Reims freigelassen und ihm sein Bistum zurückgegeben. Karl sollte sich mit Lothar einigen, auch wenn er jetzt seine Länder bedroht.«
»Ich habe mich immer für eine Einigung mit Lothar eingesetzt«, murmelte Judith.
Ruadbern seufzte. »Ich mache mir größere Sorgen um dich. Pippin hat seine Truppen vor der Stadt zusammengezogen. Die Streitmacht, die dir hier verblieben ist, wird kaum ausreichen, sie zu bekämpfen.«
»Bernhard hat geschworen, der kleine Pippin würde Karl nicht angreifen.«
»Karl ist nicht mehr hier«, erwiderte Ruadbern düster. »Aber die Kaiserinwitwe wäre ein starkes Pfand.«
Kaiserinwitwe. Jetzt gab es nur noch eine Kaiserin im Reich. Irmingard.
Lothar war mit seinem Heer inzwischen über die Alpen gezogen, hatte Ludwig nach Bayern zurückgetrieben und im sicheren Gefühl seiner Überlegenheit begonnen, Karl Stück um Stück seine Länder abzunehmen. Im Gegensatz zu ihm verfügte Karl über keine Hausmacht, und die Vasallen zeigten sich geneigter, dem fünfundvierzigjährigen Kaiser als dem siebzehnjährigen König zu folgen. Lothars Neffe, Pippin II. von Aquitanien, hatte dem Kaiser bereits zu verstehen gegeben, dass er sich mit seinem Unterkönigtum begnügen und gegen den ältesten Oheim nicht die Waffen zu erheben gedenke. Dafür hatte er Lothars Schutz zugesagt bekommen.
»Dann muss der kleine Pippin auch Judith endlich ausliefern!«, verlangte Irmingard von ihrem Gemahl und schlug vor, mit ihrem Gefolge höchstselbst nach Poitiers zu reiten, um die Kaiserinwitwe gefangen zu nehmen. Lothar, dem Irmingards Anwesenheit nur lästig war und der sie am liebsten bei ihren sechs Kindern in Italien zurückgelassen hätte, gab ihr die Genehmigung, bestand allerdings darauf, das wahre
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