Die Welfenkaiserin
und wandte sich wieder Bernhard zu.
»Vergeben und vergessen?«, fragte der offen.
»Es war unverzeihlich«, antwortete Judith hart.
»Das war es. Du bist wunderschön, Judith, und das Herz geht mir bei deinem Anblick auf, aber ich verspreche, dich nie wieder zu bedrängen.«
»Versprichst du mir auch, mich nie wieder zu hintergehen? Nein!«, rief sie, als sie so etwas wie einen Hoffnungsschimmer in Bernhards Augen zu entdecken glaubte. »Das meine ich nicht. Ich spreche nur von unserer Arbeit, von deiner Arbeit für den Hof und unseren Sohn. Alles andere ist und bleibt Vergangenheit!«
Bernhard schwieg einen Augenblick, sagte dann: »Mir blutet das Herz, Judith. Aber das braucht dich nicht zu kümmern.« Er machte eine Pause und setzte beziehungsreich hinzu: »Es ist mein Blut, nicht deins.«
Mit solchen Blicken und Sprüchen hat er mich früher zutiefst gerührt, dachte Judith verwundert, vergessend, dass gerade dieser Satz von ihr stammte. Sie war wirklich geheilt.
Das Hochgefühl dieses Sieges über sich selbst hielt an, bis sie später an der Abendtafel zu Lothar schaute. Mit offensichtlichem Abscheu blickte er auf seinen Patensohn Karl, der munter über die giftigen Pflanzen plapperte, vor denen ihn sein neuer Lehrer Walahfrid Strabo aus Fulda an diesem Tag gewarnt hatte.
»Aber die Pflanzen sind nicht nur schlecht. Etwas Gift kann heilen!«, erklärte der Fünfjährige, stolz auf seine neu erworbenen Kenntnisse.
»Sicherlich«, stimmte Judith ihrem Sohn zu, »aber wenn Giftpflanzen alles überwuchern, müssen sie mit Stumpf und Stiel ausgejätet werden!«
Ihr Blick glitt über den Tisch und blieb auf Lothar hängen, der das Gesicht zu einem ironischen Grinsen verzogen hatte.
»Der richtige Gärtner«, sprach er gedehnt, »lässt es gar nicht erst so weit kommen. Er rottet schon die Schösslinge aus.«
7
Aus den Chroniken der Astronoma
Im Jahr des Herrn 829
Ein Sturm ist aufgezogen, und noch kann niemand sagen, welche Verwüstungen er anrichten wird. Er hat bereits die kaiserliche Familie auseinandergerissen, die Herzen der einen gegen das Los der anderen verhärtet, das Banner der Ordinatio imperii zerfetzt und droht nun, das Werk des großen Karl dem Strudel der Vernichtung auszusetzen.
Der Kaiser ruft alle Bischöfe zu vier bedeutenden Synoden ein, um ihren Rat zu vernehmen und Aufschluss über die herrschende Stimmung im Reich und unter den Edlen zu erhalten. Auf der Kirchenversammlung in Paris ermahnen die Bischöfe den Kaiser, Liebe, Frieden und Eintracht unter seinen Söhnen und Ratgebern zu halten. Das Gerücht gehe, sagen sie, er sei durch Liebestränke berückt worden und treffe daher falsche Entscheidungen. Einhard sendet dem Kaiser eine Warnung des Engels Gabriel, der sich zu Seligenstadt einem blinden Bettler offenbart haben soll. Der Kaiser gerät in Bedrängnis. Er verurteilt öffentlich die törichten Reden und widerlichen Vergnügungen der Spielleute und unterzeichnet den Beschluss, dass Zauberer und Hexen zu Werkzeugen des Teufels erklärt und verfolgt werden sollen. Am Rande der Kirchenversammlung werden auch andere Dinge erörtert. So wird die Zinssatzung wucherisch genannt – jene Handlung, bei der ein Gläubiger seinem Schuldner Geld leiht und dafür einen Acker, einen Weinberg oder eine Mühle als Pfand erhält. Solange die Schulden nicht bezahlt sind, streicht der Gläubiger die Enrage als Zinsen ein. Doch im Mittelpunkt des Treffens stehen die Zustände am Hof.
Daher beschließt der Kaiser auf der Wormser Reichsversammlung im August, deutliche Verhältnisse zu schaffen. Nachdem er förmlich Bernhard von Septimaniens Berufung zum Kämmerer bestätigt hat, holt er zum wuchtigen Wurf aus. Er überträgt seinem sechsjährigen Sohn Karl Länder aus der Mitte des Frankenreichs, die bislang seinem ältesten Sohn gehörten: Alemannien, Churrätien , Gebiete in Burgund und das Elsass, die Heimat der Etichonen , der Familie von Lothars Gemahlin Irmingard.
Lothars Beschwerde, dieser Entschluss laufe der Ordinatio imperii zuwider, beantwortet Kaiser Ludwig mit der Entmachtung seines ältesten Sohnes. Er lässt seinen Namen nicht länger unter Urkunden setzen, verweist ihn nach Italien und droht an, ihm auch förmlich den Titel des Mitkaisers zu entziehen. Lothar, der von seinem abgesetzten Schwiegervater Hugo von Tours, einem erklärten Feind der Kaiserin, begleitet wird, nimmt jetzt wieder den gleichen Rang wie seine Brüder ein. Auch diese sind in höchster Besorgnis um ihre
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