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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Länder und schicken einander Gesandtschaften.
    Im Jahr 830
    Nicht jeder vermochte mit Walahfrid Strabo ungezwungen zu plaudern, denn ihn behinderte die gleiche Abweichung, die auch Königin Hemma von Bayern aufwies. Um allen Witzen darüber ein Ende zu setzen, hatte der aus Fulda gesandte Mönch den Lateinkundigen zur Freude selbst daraus seinen Namen gemacht: Strabo, der Schielende. Er war zutiefst geschmeichelt, als die Kaiserin ihn unbegleitet im Garten aufsuchte, wo er sich über die ersten grünen Triebe des Jahres gebeugt hatte. Und leicht verlegen, denn er verehrte diese Frau mit einer Leidenschaft, die sich nicht mit seinem Keuschheitsgelübde vereinbarte. Er betete den Boden an, über den sie schritt, trocknete jede Pflanze, an der er sie hatte schnuppern sehen und schloss Rabanus Maurus jede Nacht in sein Gebet ein, denn dieser hatte ihn als Lehrer des Kaisersohnes ausersehen.
    Diesmal wünschte Judith allerdings nicht, über die Fortschritte ihres Sohnes in der Hofschule unterrichtet zu werden. Sie wollte mehr über die Welt der Pflanzen erfahren. Wenn ihr schon – und nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand, sondern ganz öffentlich auf einer Synode – unterstellt wurde, Zaubertränke anzufertigen, wollte sie wenigstens wissen, aus welchen Zutaten solche bestehen könnten.
    Judith galt als umfassend gebildet, doch den größten Teil ihres bisherigen Wissens hatte sie alten Schriften oder Briefwechseln und Gesprächen mit Gelehrten entnommen, abgesehen von jenen Erkenntnissen, die sie ihrer Tante Gerswind verdankte. Sie empfand es als überaus merkwürdig, dass ihr in den frühen Jahren, als sie die Zauberei noch emsig betrieben hatte, niemand auf die Schliche gekommen war und jetzt, da sie sich längst von jeglicher Magie abgewendet hatte, der Vorwurf der Hexerei zuteil wurde. Ludwig empörte dies noch mehr als sie. Schließlich wusste er selbst am besten, dass sie ihm kein wirkungsvolles Mittel eingeflößt haben konnte.
    Walahfrid Strabo, dessen Dichtkunst nur von seiner Kenntnis der Botanik übertroffen wurde, fühlte sich allerdings höchst unbehaglich, als sie ihn bat, sie mit jenen Pflanzen vertraut zu machen, deren Verarbeitung und Einsatz ihr unterstellt wurden.
    »Alles, was das Verlangen des Mannes steigert«, sagte sie, »was die Willenskraft schwächt oder gar bricht und das eigene Ansehen hebt.«
    Walahfrid Strabo schüttelte den Kopf. »Es ist noch zu früh im Jahr, um solche Pflanzen erkennen oder gar ernten zu können«, sagte er ohne großes Bedauern und fragte schüchtern, ob er der Kaiserin stattdessen zeigen dürfe, was er ihr zu Ehren geschaffen habe. Sie folgte ihm in seine Schreibstube und nahm dort ein Pergament entgegen.
    »Ein wunderschönes Gedicht!«, lobte sie Walahfrid, nachdem sie die Schrift gelesen und wieder zusammengerollt hatte. »Ich gebe dir die Genehmigung, es dem gesamten Hof zugänglich zu machen.«
    Sollten doch alle erfahren, dass der junge Gelehrte Judith und Karl mit der biblischen Rahel und deren Sohn Benjamin verglich! In seinem Gedicht hob Walahfrid hervor, wie sehr Jakob seine zweite Frau geliebt hatte und dass Benjamin, wohlgemerkt Jakobs jüngster Sohn, Begründer eines neuen Stammes wurde. Dass Rahel bei der Geburt ihres Sohnes starb, hatte der Dichter geschickt auf Judith und die derzeitige heikle Lage umgedeutet: Nach der Geburt des Sohnes sei von außen großer Schmerz an Judith herangetragen worden.
    In weiteren Versen verglich Walahfrid Judith mit ihrer biblischen Namensschwester, der klugen, schönen und gottesfürchtigen Jüdin, die den assyrischen Heerführer Holofernes enthauptet und damit den Israeliten Sieg und Freiheit bringt.
    »Ich werde dein Werk dem Kaiser zeigen«, erklärte Judith, die sich fragte, ob Walahfrid am Schluss seines Gedichtes mit seinen Lobpreisungen nicht vielleicht doch übers Ziel hinausgeschossen war. Sie mache Musik wie Maria, die Schwester des Aaron, hatte er geschrieben, verfasse Gedichte, sei so reich an Weisheit wie Sappho und – was Judith die größte Sorge bereitete – sei so prophetisch wie Holda. Zu heidnisch, dachte Judith, musste er denn unbedingt noch die alte Göttin ins Spiel bringen? Noch dazu mit einer Fähigkeit, die der Zauberkunst nicht gerade fernsteht?
    Doch Judith kam nicht dazu, Ludwig das Werk des Dichters vorzulegen, denn sie fand den Kaiser in höchster Aufregung vor. Noch nie, nicht einmal vor seinem Bußgang in Attigny, hatte sie ihn in solch fürchterlicher Verfassung gesehen.

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