Die Welfenkaiserin
Entscheidungen einzubeziehen, sein Wohlwollen zu gewinnen und ihm die Befürchtung zu nehmen, Karl könne ihm irgendwann die Kaiserkrone entreißen. Gegen die Bedenken ihres Mannes hatte sie sich immer wieder für Lothar eingesetzt und geglaubt, ihn mit Großzügigkeit entwaffnen zu können.
Offensichtlich war alles vergebens gewesen. Nach Irmingards Kampfansage käme weitere Rücksichtnahme auf Lothar einer Selbstauslöschung gleich. Es wäre verblendet, jetzt noch zu hoffen, dass er Karl auch nur eine einzige Grafschaft überschreiben würde. Karl der Kahle. Ihrem Sohn waren inzwischen zwar lange braune Haare gewachsen, aber Lothars Spitzname war an ihm haften geblieben. Karl der Kahle, der Landlose, der Besitzlose. Das durfte nicht so bleiben.
Erst jetzt erlaubte sich Judith einen Gedanken, den sie sich zuvor als Maßlosigkeit verboten und nur als winziges Gebet am Petrusgrab geäußert hatte: Warum sollte ihr Sohn dereinst nicht Kaiser werden können? Schließlich war Ludwig selbst auch der jüngste Sohn Kaiser Karls gewesen. Jedenfalls weiß ich jetzt, woran ich bin und wer meine Feinde sind, dachte sie, als sie sich erhob. Leider würde sie Ludwig bei seinen Vorbereitungen für den Reichstag stören und ihm einige Wahrheiten sagen müssen.
Schon am nächsten Tag fand die Verhandlung über die beiden Grafen statt, die Barcelona im Stich gelassen hatten. Die Reichsversammlung verurteilte sie zum Tode. Der Kaiser höchstselbst begnadigte sie, doch Hugo von Tours und Graf Matfried gingen aller Güter und Titel verlustig.
Kaiser Ludwig nutzte die Gelegenheit, auch andere Ämter am Hof neu zu verteilen. Bernhard von Barcelona wurde zum Kämmerer erhoben und somit der Kaiserin unmittelbar unterstellt. Beide hatten sich gemeinsam um die Leitung des kaiserlichen Haushalts zu kümmern, um die jährlichen Abgaben von Vasallen, um die Betreuung von Gesandtschaften, um die Verwaltung von Einkünften und Vorräten. Außerdem wurde Bernhard neben Walahfrid Strabo zum Lehrer und Erzieher des jungen Prinzen ernannt.
Judith war ungehalten, dass Ludwig es nicht für nötig befunden hatte, Bernhards Ernennung mit ihr zu besprechen. Doch sie hätte ihn nicht davon abhalten können, denn nach dem Tod des letzten Kämmerers musste das Amt neu besetzt werden. Es wäre höchst befremdlich gewesen, hätte er es nicht dem Helden von Barcelona verliehen. Der in seiner früheren Eigenschaft als Lehrer der Kaiserin dafür wie geschaffen erschien. Judiths Empörung legte sich dann auch schnell, als sie bedachte, wie geeignet Bernhard dafür war, vernünftige Vorschläge zur Sicherung von Karls Zukunft zu unterbreiten. Wem konnte schon mehr am Schutz ihres Sohnes gelegen sein als dessen leiblichem Vater. Karl brauchte Bernhard! Es wäre dumm, sich aus verletzter Eitelkeit seine Umsicht, seine Klugheit, seinen Rat und seine Verschlagenheit nicht zunutze zu machen.
Noch vor der Abendmahlzeit des gleichen Tages ließ sich Bernhard bei Judith anmelden. Sie empfing ihn in Ludwigs Beratungskammer.
»Mein neues Amt habe ich wohl kaum dir zu verdanken«, sagte er, nachdem er sich vor ihr verneigt hatte. Judith saß am Kopfende des langen Tischs und forderte Bernhard auf, sich ihr gegenüber niederzulassen. »Natürlich nicht. Ludwig ist allein auf diesen Gedanken gekommen.«
Früher hatte sie sich oft vorgestellt, wie viel einfacher der Umgang mit Bernhard wäre, hätte er nur das Amt des Kämmerers und Schatzmeisters inne, aber sie hatte nie gewagt, mit Ludwig darüber zu sprechen. Es durchfuhr sie ein kleiner Schreck. Sollte sie damals etwa ohne Absicht diesen Gedanken in Ludwigs Kopf gepflanzt haben? Welch fürchterliche Vorstellung, dass er möglicherweise unaufgefordert ihre Gedanken hatte lesen können!
Ihre Fähigkeit, anderen Menschen Gedanken eingeben zu können, setzte sie kaum noch ein, wie sie überhaupt allem, was auch nur entfernt mit Magie verbunden war, abgeschworen hatte. Schon Ludwigs wegen, der bei aller Frömmigkeit sehr abergläubisch war und panische Angst vor jeglicher Hexerei hatte. Er arbeitete an einer Schrift, mit der er auf einer der nächsten Synoden ganz offen Zauberer und Hexen zu Werkzeugen des Teufels erklären wollte. Den Gerüchten, die Irmingard jetzt ganz hemmungslos über Judiths Zauberkräfte verbreitete, würde er zwar keinen Glauben schenken, sich aber gezwungen sehen, in irgendeiner Form auf das Gerede zu reagieren. Am besten mit einer ordentlichen Zurechtweisung der Schwiegertochter, dachte Judith
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