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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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durch die Schluchten streichenden Luft. Unsere Abhängigkeit, unser Kampf mit der feindlichen Natur, unser darin gebrochener Wille, tritt uns jetzt anschaulich vor Augen: so lange aber nicht die persönliche Bedrängniß die Oberhand gewinnt, sondern wir in ästhetischer Beschauung bleiben, blickt durch jenen Kampf der Natur, durch jenes Bild des gebrochenen Willens, das reine Subjekt des Erkennens durch und faßt ruhig, unerschüttert, nicht mitgetroffen (unconcerned) , an eben den Gegenständen, welche dem Willen drohend und furchtbar sind, die Ideen auf. In diesem Kontrast eben liegt das Gefühl des Erhabenen.
    Aber noch mächtiger wird der Eindruck, wenn wir den Kampf der empörten Naturkräfte im Großen vor Augen haben, wenn in jener Umgebung ein fallender Strohm durch sein Toben uns die Möglichkeit die eigene Stimme zu hören benimmt; – oder wenn wir am weiten, im Sturm empörten Meere stehn: häuserhohe Wellen steigen und sinken, gewaltsam gegen schroffe Uferklippen geschlagen, spritzen sie den Schaum hoch in die Luft, der Sturm heult, das Meer brüllt, Blitze aus schwarzen Wolken zucken und Donnerschläge übertönen Sturm und Meer. Dann erreicht im unerschütterten Zuschauer dieses Auftritts die Duplicität seines Bewußtseyns die höchste Deutlichkeit: er empfindet sich zugleich als Individuum, als hinfällige Willenserscheinung, die der geringste Schlag jener Kräfte zertrümmern kann, hülflos gegen die gewaltige Natur, abhängig, dem Zufall Preis gegeben, ein verschwindendes Nichts, ungeheuren Mächten gegenüber; und dabei nun zugleich als ewiges ruhiges Subjekt des Erkennens, welches, als Bedingung alles Objekts, der Träger eben dieser ganzen Welt ist und der furchtbare Kampf der Natur nur seine Vorstellung, es selbst in ruhiger Auffassung der Ideen, frei und fremd allem Wollen und allen Nöthen. Es ist der volle Eindruck des Erhabenen. Hier veranlaßt ihn der Anblick einer dem Individuo Vernichtung drohenden, ihm ohne allen Vergleich überlegenen Macht.
    Auf ganz andere Weise kann er entstehn bei der Vergegenwärtigung einer bloßen Größe in Raum und Zeit, deren Unermeßlichkeit das Individuum zu Nichts verkleinert. Wir können die erstere Art das Dynamisch-, die zweite das Mathematisch-Erhabene nennen, Kants Benennungen und seine richtige Eintheilung beibehaltend, obgleich wir in der Erklärung des innern Wesens jenes Eindrucks ganz von ihm abweichen und weder moralischen Reflexionen, noch Hypostasen aus der scholastischen Philosophie einen Antheil dabei zugestehn.
    Wenn wir uns in die Betrachtung der unendlichen Größe der Welt in Raum und Zeit verlieren, den verflossenen Jahrtausenden und den kommenden nachsinnen, – oder auch, wenn der nächtliche Himmel uns zahllose Welten wirklich vor Augen bringt, und so die Unermeßlichkeit der Welt auf das Bewußtseyn eindringt, – so fühlen wir uns selbst zu Nichts verkleinert, fühlen uns als Individuum, als belebter Leib, als vergängliche Willenserscheinung, wie ein Tropfen im Ocean, dahin schwinden, ins Nichts zerfließen. Aber zugleich erhebt sich gegen solches Gespenst unserer eigenen Nichtigkeit, gegen solche lügende Unmöglichkeit, das unmittelbare Bewußtseyn, daß alle diese Welten ja nur in unserer Vorstellung dasind, nur als Modifikationen des ewigen Subjekts des reinen Erkennens, als welches wir uns finden, sobald wir die Individualität vergessen, und welches der nothwendige, der bedingende Träger aller Welten und aller Zeiten ist. Die Größe der Welt, die uns vorher beunruhigt, ruht jetzt in uns: unsere Abhängigkeit von ihr wird aufgehoben durch ihre Abhängigkeit von uns. – Dieses Alles kommt jedoch nicht sofort in die Reflexion, sondern zeigt sich als ein nur gefühltes Bewußtseyn, daß man, in irgend einem Sinne (den allein die Philosophie deutlich macht), mit der Welt Eines ist und daher durch ihre Unermeßlichkeit nicht niedergedrückt, sondern gehoben wird. Es ist das gefühlte Bewußtseyn Dessen, was die Upanischaden der Veden in so mannigfaltigen Wendungen wiederholt aussprechen, vorzüglich in dem schon oben beigebrachten Spruch: Hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est (Oupnek'hat, Bd. I, S. 122). Es ist Erhebung über das eigene Individuum, Gefühl des Erhabenen.
    Auf eine ganz unmittelbare Weise erhalten wir diesen Eindruck des Mathematisch-Erhabenen schon durch einen Raum, der zwar gegen das Weltgebäude betrachtet klein ist, der aber dadurch daß er uns unmittelbar ganz wahrnehmbar

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