Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Idee erkenne, es sofort ohne Bedeutung ist, ob es dieser Baum oder sein vor tausend Jahren blühender Vorfahr ist, und eben so ob der Betrachter dieses, oder irgend ein anderes, irgendwann und irgendwo lebendes Individuum ist; mit dem Satz vom Grunde ist das einzelne Ding und das erkennende Individuum aufgehoben und nichts bleibt übrig, als die Idee und das reine Subjekt des Erkennens, welche zusammen die adäquate Objektität des Willens auf dieser Stufe ausmachen. Und nicht allein der Zeit, sondern auch dem Raum ist die Idee enthoben: denn nicht die mir vorschwebende räumliche Gestalt, sondern der Ausdruck, die reine Bedeutung derselben, ihr innerstes Wesen, das sich mir aufschließt und mich anspricht, ist eigentlich die Idee und kann ganz das Selbe seyn, bei großem Unterschied der räumlichen Verhältnisse der Gestalt.
Da nun einerseits jedes vorhandene Ding rein objektiv und außer aller Relation betrachtet werden kann; da ferner auch andererseits in jedem Dinge der Wille, auf irgend einer Stufe seiner Objektität, erscheint, und dasselbe sonach Ausdruck einer Idee ist; so ist auch jedes Ding schön . – Daß auch das Unbedeutendeste die rein objektive und willenlose Betrachtung zuläßt und dadurch sich als schön bewährt, bezeugt das schon oben (§ 38) in dieser Hinsicht erwähnte Stillleben der Niederländer. Schöner ist aber Eines als das Andere dadurch, daß es jene rein objektive Betrachtung erleichtert, ihr entgegenkommt, ja gleichsam dazu zwingt, wo wir es dann sehr schön nennen. Dies ist der Fall theils dadurch, daß es als einzelnes Ding, durch das sehr deutliche, rein bestimmte, durchaus bedeutsame Verhältniß seiner Theile die Idee seiner Gattung rein ausspricht und durch in ihm vereinigte Vollständigkeit aller seiner Gattung möglichen Aeußerungen die Idee derselben vollkommen offenbart, so daß es dem Betrachter den Uebergang vom einzelnen Ding zur Idee und eben damit auch den Zustand der reinen Beschaulichkeit sehr erleichtert; theils liegt jener Vorzug besonderer Schönheit eines Objekts darin, daß die Idee selbst, die uns aus ihm anspricht, eine hohe Stufe der Objektität des Willens und daher durchaus bedeutend und vielsagend sei. Darum ist der Mensch vor allem Ändern schön und die Offenbarung seines Wesens das höchste Ziel der Kunst. Menschliche Gestalt und menschlicher Ausdruck sind das bedeutendeste Objekt der bildenden Kunst, so wie menschliches Handeln das bedeutendeste Objekt der Poesie. – Es hat aber dennoch jedes Ding seine eigenthümliche Schönheit: nicht nur jedes Organische und in der Einheit einer Individualität sich darstellende; sondern auch jedes Unorganische, Formlose, ja jedes Artefakt. Denn alle diese offenbaren die Ideen, durch welche der Wille sich auf den untersten Stufen objektivirt, geben gleichsam die tiefsten, verhallenden Baßtöne der Natur an. Schwere, Starrheit, Flüssigkeit, Licht u.s.w. sind die Ideen, welche sich in Felsen, Gebäuden, Gewässern aussprechen. Die schöne Gartenkunst und Baukunst können nichts weiter, als ihnen helfen, jene ihre Eigenschaften deutlich, vielseitig und vollständig zu entfalten, ihnen Gelegenheit geben, sich rein auszusprechen, wodurch sie eben zur ästhetischen Beschauung auffordern und dieselbe erleichtern. Dies leisten dagegen schlechte Gebäude und Gegenden, welche die Natur vernachlässigte oder die Kunst verdarb, wenig oder gar nicht: dennoch können auch aus ihnen jene allgemeinen Grundideen der Natur nicht ganz verschwinden. Den sie suchenden Betrachter sprechen sie auch hier an, und selbst schlechte Gebäude u. dgl. sind noch einer ästhetischen Betrachtung fähig: die Ideen der allgemeinsten Eigenschaften ihres Stoffes sind noch in ihnen erkennbar, nur daß die ihnen künstlich gegebene Form kein Erleichterungsmittel, ja vielmehr ein Hinderniß ist, das die ästhetische Betrachtung erschwert. Auch Artefakta dienen folglich dem Ausdruck von Ideen: nur ist es nicht die Idee des Artefakts, die aus ihnen spricht, sondern die Idee des Materials, dem man diese künstliche Form gab. In der Sprache der Scholastiker läßt sich dieses sehr bequem mit zwei Worten ausdrücken, nämlich im Artefakt spricht sich die Idee seiner forma substantialis , nicht die seiner forma accidentalis aus, welche letztere auf keine Idee, sondern nur auf einen menschlichen Begriff, von dem sie ausgegangen, leitet. Es versteht sich, daß hier mit dem Artefakt ausdrücklich kein Werk der bildenden Kunst gemeint ist. Uebrigens verstanden
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